Jäger und Gejagte
Zeichentrick-Bandit tragen würde. Sie rahmte seine Augen schwarz ein. Als er damit anfing, sie ständig zu tragen, kam sie zu dem Schluß, daß ihr Bruder nicht nur verdreht, sondern hoffnungslos verrückt war und es keinen Sinn hatte, sich um ihn Sorgen zu machen. Sie war fünfzehn, und er war zwölf, und plötzlich redete er nur noch über Waschbären.
Waschbär-dies, Waschbär-das. Sie hörte nur noch von Waschbären, bis das bloße Wort sie schon krank machte. Er las Bücher über Waschbären. Er ging in Zoos und Museen. Er kaufte sich eine Waschbärmütze, die er jeden Abend beim Essen trug. Bis sie sie ihm eines nachts, als er schlief, wegnahm und in den Müll warf. Als er sich ein Waschbärfellimitat an seine Tür hängte, warf sie das ebenfalls weg. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, daß ihr kleiner Bruder sich nicht wie eine normale Person benahm, ganz normal aufwuchs. Als er anfing, diese alberne schwarze Maske zu tragen, die seine Augen wie die ›Maske‹ eines Waschbären umgab, und zwar nicht nur am Tage, sondern auch im Bett, war es aus. Mehr konnte sie nicht ertragen. Und dann gab sie auf.
Und sie hat nicht aufgehört, es zu bereuen. Nicht, seitdem sie selbst erwachsen ist.
»Es tut mir so leid.«
Scottie sieht sie an, als sei er verwirrt. »Was?«
Amy legt ihm die Arme um den Hals und drückt ihn an sich. Wie kann sie ihm das Schuldgefühl erklären, das sie empfindet? Sie kann kaum glauben, daß er da ist. Sie hat mindestens eine Million Fragen, Dinge, die sie wissen muß und wissen will.
»Scottie ... O Gott, wo fange ich nur an?« sagt sie mit bebender Stimme. »Es gibt so vieles... so vieles, das ich wissen will. Über dich. Wo du gewesen bist, was du getan hast. Erkläre mir alles, deine Magie. Was sie bedeutet. Was sie dir bedeutet.«
Das will sie mehr als alles andere.
26
Es führt zu nichts, Ben. Zu gar nichts.«
Dr. Liron Phalen schüttelt traurig den Kopf, während sein Freund und Kollege Dr. Benjamin Hill die letzten Vorräte des Draco Minimalis -Plasma in den kryogenischen Kühler zurückstellt. Der kurze Arbeitsvorgang ist rasch beendet. Es sind nur noch wenige Proben übrig, kaum mehr als hundert Milliliter in jedem der Makroplastbehälter. Ein unschätzbarer Reichtum an meta-mikrobiologischen Daten, doch unnütz, weil ohne Bezug zu ihrem gegenwärtigen Forschungsthema.
»Diese Richtung bringt einfach keine Ergebnisse. Ich muß sagen, daß sie zu Beginn ziemlich vielversprechend ausgesehen hat, ganz wie du vorausgesagt hast. Ich fürchte, wir müssen uns gedulden, bis die neue Matrix eintrifft.«
»Ja«, erwidert Ben. »Ja, ich bin ganz deiner Meinung.«
»Das wird recht bald sein, hoffe ich doch.«
Ben verzieht das Gesicht, und das ist typisch für den armen Kerl. Jeder Fehlschlag, jede Verzögerung, jede Verschwendung von Zeit und Mühen ist irgendwie auf ein Verschulden oder eine Unterlassung seinerseits zurückzuführen. Er nimmt seine Arbeit viel zu persönlich. Vielleicht erwartet er zu schnell zuviel. Liron lächelt und legt ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen, als Ben sagt: »Ich gehe davon aus, daß sie noch diese Woche eintrifft. Bestimmt nicht später.«
»Das ist gut, Ben. Ich bin sicher, wir finden eine Möglichkeit, wie wir uns bis dahin beschäftigen.«
»Ja, gewiß... die Verzögerung ist sehr unerfreulich.«
»Ich bin sicher, daß sich daran nichts ändern läßt.«
Jemand, eine weibliche Person hustet, und Liron dreht sich um. Nur ein paar Schritte entfernt wartet Germaine Olsson. Germaine ist die Chefassistentin der Metawissenschaftsgruppe und noch dazu äußerst kompetent. Ihre Arbeitsbezeichnung ist eine gewaltige Untertreibung.
Liron lächelt. »Und was will unser gutes Mädchen Freitag von uns? Haben wir vielleicht zu viele Probenetiketten verbraucht?«
»Äh... entschuldigen Sie bitte«, sagt Germaine, um dann innezuhalten und sich noch einmal zu räuspern. Sie ist ein armes, ziemlich befangenes Mädchen, obwohl eigentlich kaum ein Mädchen. »Ich wollte Dr. Hill nur sagen, daß sie weg ist.«
»Ach? Hat sich Nettie wieder von den Fesseln der Verdammnis befreit?«
Nettie ist ursprünglich als Testmatrix zur Gruppe gestoßen, seitdem jedoch zu so etwas wie einem Maskottchen geworden. Für ein Novopossum ist sie ziemlich zahm. Unglücklicherweise reagiert ihr ätzender Speichel mit einem breiten Spektrum von Legierungen, Kohlenwasserstoffen, Metallen - tatsächlich so gut wie allem, was sie in dem Bemühen
Weitere Kostenlose Bücher