Jäger und Gejagte
ausprobiert haben, sie sicher in einem Käfig zu halten.
Germaine zögert, macht einen zappeligen Eindruck. Liron sieht Ben an, doch der erwidert den Blick mit ausdrucksloser Miene. Das Schweigen hält sehr lange an und ist nach Lirons Ansicht ziemlich peinlich.
»Habe ich etwas Falsches gesagt, meine Liebe?« erkundigt er sich.
Plötzlich lächelt Germaine, tatsächlich sogar ziemlich breit, obwohl sie normalerweise ihre Ork-Hauer nur sehr ungern zeigt. Vielleicht ist sie ein wenig verlegen. »Äh... nun, nein«, sagt sie. »Ich habe nur von Amy Berman gesprochen. Sie ist weg.«
»Ach so, tut mir leid«, sagt Liron. »Mir war nicht klar, daß Ms. Berman im Hause ist. Hat sie etwas Bestimmtes gewollt?«
»Ich... habe eigentlich gar nicht mit ihr geredet«, erwidert Germaine. »Sie war den ganzen Tag und die ganze Nacht lang im Netz.«
»Ständig beschäftigt«, sagt Liron lächelnd mit einem Seitenblick auf Ben. »Ich glaube nicht, daß mir je ein hingebungsvollerer Direktor aus der Verwaltung begegnet ist. Ihre Energie verblüfft mich. Sie müssen mich wirklich wissen lassen, wenn unser Direktor für Ressourcen das nächstemal vorbeikommt. Ich hätte ihr gerne guten Tag gesagt.«
»Selbstverständlich, Dr. Phalen.«
Nachdem das geklärt ist, wirft Liron einen Blick auf seine Armbanduhr. »Tja, es ist doch schon ziemlich spät geworden. Ich glaube, ich komme morgen früh etwas später als üblich, Ben.«
»Ich komme schon zurecht, Boß«, erwidert Ben.
Liron lächelt, nickt und geht hinaus. Sein alter Mercedes erwartet ihn auf dem Parkplatz und erwacht - treu wie eh und je - rasch zum Leben. Brahms schallt aus dem Stereo-Deck oder wie das genannt wird, und kurz darauf gleitet er summend über die Autobahn nach Norden und über die Bronx-Grenze, durch Yonkers und weiter zu Dobb's Ferry. Die Musik des alten Meisters sorgt dafür, daß die Fahrt etwas Beruhigendes bekommt, da sie ihn vor dem hektischen Verkehr abschottet.
Als er in die Ford Lane einbiegt, manifestiert sich zunächst vor dem Wagen und dann in ihm, ein wenig über dem Beifahrersitz, ein schwach leuchtendes Gekräusel der Luft. Die Stimme, die aus der schimmernden Luft dringt, ist glockenrein, aber zugleich weich und voll. »Du bist lange geblieben, Meister.«
Liron lächelt. »Ja, ich weiß. Verzeih mir.«
»Ich verzeihe dir alles, Meister. Bin ich dazu nicht verpflichtet?«
»Das liegt ganz bei dir, meine liebe Vorteria.«
Er hat die Worte kaum ausgesprochen, als sich Vorteria vollends auf der physikalischen Ebene manifestiert, so vollständig, wie es ihr möglich ist. Die Gestalt, die sie annimmt, ist ziemlich geisterhaft - weiß, völlig weiß - und darüber hinaus die einer reifen jungen Frau in der vollen Blüte ihrer Schönheit: langes wallendes Haar, sanfte Augen, ein zartes Lächeln, glänzende Gewänder, die die Aufmerksamkeit auf ihre reizende frauliche Gestalt lenken, ohne jedoch die Reinheit ihrer Präsenz zu beflecken. Sie ist ein entzückender Anblick, liebenswert und sehr tugendhaft.
»Warst du beschäftigt?« fragt Liron.
»Ich habe die Domäne meines Meisters bewacht«, erwidert Vorteria mit einem warmen Lächeln. »Und meines Meisters Haus und seinen gesamten Haushalt. Und ich habe lange über die großartige Arbeit meines Meisters nachgedacht.«
»Und bist du in bezug auf diese Arbeit zu irgendwelchen Schlüssen gelangt?«
»Ich glaube, daß mein Meister mehr Forschung betreiben muß.«
»Glaubst du nicht, daß wir kurz vor einem Durchbruch stehen?«
»Mein Meister hat mich an diese Welt gebunden. Wenn ich die Mauern dieser Zeitebene überwinden könnte, wäre es mir vielleicht möglich, meinem Meister seine Großzügigkeit mit einer Antwort zu vergelten.«
Liron lächelt und seufzt leise. Vorteria läßt durchblicken, daß sie irgendwie über die Grenzen der Zeit hinwegschauen kann, wenn er sie von ihren Diensten befreit; dann könnte sie ihm sagen, was ihn in Zukunft erwartet. Das ist ihre einzige, oft wiederholte Form des Protests dagegen, Lirons Willen unterworfen zu sein. Vorteria sagt, sie würde ihm immer dienen, da es ihr Freude bereitet, und Liron glaubt ihr, aber sie muß dennoch protestieren. Auf eine merkwürdige Art und Weise wirkt sie dadurch fast menschlich, weiblicher, anfällig für die natürlichen und bezaubernden Widersprüche einer Frau.
»Wirst du heute nacht arbeiten, Meister?«
»Ja«, erwidert Liron. »Sofort.«
Auf der rechten Seite taucht sein Haus auf, alt und ziemlich groß,
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