Jägerin der Dunkelheit - Feehan, C: Jägerin der Dunkelheit - Shadow Game (Ghost Walkers # 1)
Möglichkeit gab, euch dagegen abzuschotten. Ich habe mein Bestes getan, um eine ruhige, beschwichtigende Atmosphäre für euch zu schaffen, und ich habe mich verstärkt darum bemüht, Angestellte zu finden, in die keine von euch hineinschauen konnte. Zeitweilig musste ich Barrieren verstärken, um etwas nachzuhelfen.«
Weitere ausgestrichene Worte wiesen auf extreme Aufgewühltheit hin. »Blaues Licht hat sich als hilfreich erwiesen, ebenso die Geräusche von Wasser. Das steht alles in den Berichten, die ich für dich verfasst habe. Aber damit waren die Probleme noch lange nicht aus der Welt geschafft. Einige der Mädchen konnten nicht allein sein. Sie brauchten ständig dich oder notfalls zwei oder drei der anderen um sich. Du schienst ihnen eine Hilfe zu sein. Es war, als könnten sie in deiner Nähe den Alltag bewältigen, als zögest du die Reizüberflutung von ihnen ab, das Übermaß an Geräuschen und Gefühlen, dem sie nicht gewachsen waren. Ohne dich konnten sie regelrecht katatonisch werden. Anfälle waren an der Tagesordnung, aber auch zahllose andere Probleme. Mir wurde klar, dass ich so viele Kinder mit derart gewaltigen Problemen nicht verkraften konnte. Die anderen Mädchen habe ich gut
untergebracht; in Anbetracht der Geldsumme, die ich potenziellen Eltern angeboten habe, war das nicht allzu schwierig. Und dich habe ich behalten.«
Lily presste ihren Handballen gegen ihre pochende Stirn. »Nicht weil du mich geliebt hast, Dad, sondern weil ich die am wenigsten Problematische war.« Sie sah es ganz deutlich vor sich, ihren Vater als jungen Mann, der mit reiner Logik das Kind auswählte, das ihm die wenigsten Schwierigkeiten machen würde. Er hatte genau gewusst, dass er sein Experiment aufgeben sollte, aber dazu konnte er sich nicht durchringen, nicht nach all der Zeit und Mühe und dem Geld, das bereits in das Projekt geflossen war. Daher hatte er sie behalten. »Und was ist aus diesen anderen kleinen Mädchen geworden, die versuchen mussten, ohne jede Hilfe zurechtzukommen? Und ohne zu wissen, was mit ihnen los ist? Du hast sie im Stich gelassen. Die Hälfte von ihnen könnte mittlerweile tot sein oder in Anstalten sitzen.« Wieder brannten die Tränen, und sie kämpfte gegen sie an. Wie konnte er etwas so Grässliches getan haben? Es war so falsch, so widernatürlich.
»Ich kenne dich so gut, Lily. Ich weiß, dass ich dich verletze, aber ich muss dir die Wahrheit sagen, denn sonst wirst du mir kein Wort glauben. Im Lauf der Jahre habe ich dich lieben gelernt und erkannt, was ich diesen anderen Kindern wirklich schuldig bin. Das ist keine Entschuldigung dafür, dass ich sie vernachlässigt habe. Ich weiß, dass sie auch heute noch Probleme in ihrem Leben haben müssen, und für diese Probleme bin ganz allein ich verantwortlich. Ich habe einen Privatdetektiv engagiert, um sie aufzuspüren. Einige habe ich gefunden, und auch diese Akten sind für deine Lektüre bestimmt. Die Ergebnisse meiner Einmischung werden dir ebenso wenig gefallen
wie mir. Ich weiß, dass du wütend auf mich sein und dich meiner schämen wirst.«
Lily hob den Kopf. »Ich bin jetzt schon wütend und schäme mich für dich«, sagte sie. »Wie konntest du das bloß tun? Experimente an Menschen betreiben. An Kindern, Dad. Wie konntest du das bloß tun?«
Sie versuchte, sich an die anderen Kinder zu erinnern, aber das Einzige, was sie hören konnte, war der Klang ihrer Stimmchen, die sich in Gelächter und Tränen miteinander vermischten. Sie fühlte sich den anderen Mädchen verbunden. Mittlerweile waren sie Frauen, die dort draußen in der weiten Welt lebten und keinen Schimmer hatten, was ihnen zugestoßen war. Wo mochten sie jetzt alle stecken? Am liebsten hätte sie den Brief ihres Vaters fallen lassen und die Berichte des Privatdetektivs gesucht. Stattdessen zwang sie sich, den Brief zu Ende zu lesen.
»Ich kann nur sagen, dass in diesen Anfangszeiten bei mir von einem Herzen oder einem Gewissen nicht die Rede sein konnte. Du bist diejenige, die mein Leben um diese beiden entscheidenden Elemente bereichert hat. Ich habe von dir gelernt, daraus, dich aufwachsen zu sehen und die Liebe in deinen Augen zu erkennen, wenn du mich angeschaut hast. Aus diesen Jahren, in denen du mir auf Schritt und Tritt gefolgt bist, mir so viele Fragen gestellt und mit mir diskutiert hast. Jeder einzelne Tag dieser Zeit ist mir bis heute kostbar. Bedauerlicherweise ist dir, Lily, durchaus bewusst, wie mein Verstand funktioniert. Ich habe
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