Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
fluchte ich, als ich sicher war, dass er mich nicht mehr hören konnte. Ich hatte auch so schon genug um die Ohren, ohne dass die Ältesten und all die anderen mir im Nacken saßen. Ich bezweifelte zwar, dass Macaire mir Scherereien machen würde, weil ich Lucas aufgemischt hatte, aber ich wollte es mir gewiss nicht mit ihm verderben, falls die Ältesten plötzlich auf die Idee kamen, den Menschen ein Opferlamm darzubringen.
Die Hierarchie der Nachtwandler war denkbar simpel.
An der Spitze stand unser Regent, der über alle Nachtwandler herrschte. Ihm war der Konvent unterstellt, dem vier Älteste angehörten. Und unter dem Konvent reihten sich einfach diejenigen von uns ein, die am stärksten und cleversten waren. Die Alten - alle Vampire über tausend Jahre - waren ein besonderer Haufen, der im Grunde immer Ärger verhieß. Und ich forderte den Ärger geradezu heraus.
Es war eine Sache, große Töne zu spucken, wenn man im eigenen Revier in einer dunklen Gasse stand, aber mit dem gesamten Konvent hatte ich mich noch nie angelegt. Ich hatte immer genügend Abstand zu den Ältesten gehalten. Von einigen meiner Taten hatten sie gewiss Notiz genommen und auch mehr als einmal missbilligend die Stirn gerunzelt, aber unser Geheimnis hatte ich noch nie gefährdet.
Allerdings hatte ich mehr als einmal meine absolute Gleichgültigkeit und mangelnde Unterwürfigkeit gegenüber dem Konvent unter Beweis gestellt. Bislang hatte man mich gewähren lassen, und ich wusste, dass ich Jabari dafür zu danken hatte. Aber wenn die Dinge in der Neuen Welt außer Kontrolle gerieten, würden die Ältesten die Gelegenheit nutzen, um mich entweder gefügig zu machen oder den Menschen meinen Kopf auf einem Silbertablett zu servieren.
Ich sah, wie Danaus seinen Dolch wieder in die Scheide an seinem Gürtel steckte. Er war natürlich ein weiteres Problem, das ich lösen musste, bevor die Alten auftauchten.
„Nerian", knurrte er nur. Womit wir wieder bei dem dringendsten aller Probleme waren. Lucas und die Ältesten konnten warten. Danaus' Tod ebenfalls.
Mit angespannter Miene taxierte ich das heruntergekommene zweigeschossige Haus, das drei Blocks von der Straße entfernt stand, in der wir auf Lucas getroffen waren. In diesem Teil der Stadt ging ich häufig auf Jagd. Die Leute, die hier wohnten, schlugen sich eher schlecht als recht durch, und es roch überall nach Schweiß und Verzweiflung. Die Menschen hier fristeten ein armseliges Dasein, und ihre Wünsche gingen nicht über eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf hinaus. Ganz ähnlich war es in dem Dorf gewesen, in dem ich vor über sechshundert Jahren das Licht der Welt erblickt hatte.
Die Lampen am Anfang und Ende der Straße waren aus. Dafür hatte Danaus wahrscheinlich gesorgt. Die pechschwarze Finsternis, von der die Häuser umhüllt waren, machte es einem leicht, ungesehen zu kommen und zu gehen. Ein paar kränkliche Bäume raschelten in der leichten Brise, die aus südlicher Richtung wehte. Wegen der großen Trockenheit trugen sie nur wenig Laub, das sich bereits braun verfärbte. Die meisten der baufälligen Häuser in der Straße waren dunkel. Nur hier und da war durch ein Fenster der bläuliche Lichtschein eines Fernsehers zu erkennen. Ein unheimliches Quietschen hallte durch die Straße, als der Wind das Tor in einem ramponierten Maschendrahtzaun aufstieß.
Als ich die bröckelnde Steintreppe zur Tür hochging, breitete ich meine Sinne aus und durchsuchte das Haus Zentimeter für Zentimeter, doch Danaus war das einzige Wesen, das ich wahrnahm, denn möglicherweise konnte ich die Naturi nicht spüren. Selbst wenn das ganze Haus voll von ihnen wäre, würde ich es erst merken, wenn ich einen Dolch im Rücken hatte.
Der Jäger drehte sich mit der Hand auf dem Türknauf zu mir um. Er spürte natürlich, dass ich von meinen Kräften Gebrauch machte.
„Mach schon auf!", sagte ich nickend und war froh, dass meine Stimme nicht verriet, wie besorgt ich war. Ich klang tatsächlich, als freute ich mich darauf, Nerian zu sehen. Als wäre er ein alter Freund. Von wegen! Ich hoffte nur, dass ich mich beherrschen konnte und ihn nicht auf der Stelle umbrachte - obwohl ich diesen Gedanken für nicht sehr realistisch hielt.
Danaus stieß die Tür auf, die sich unter quietschendem Protest öffnete. Er ging als Erster ins Haus, ließ mich eintreten und schloss die Tür wieder. Ich stellte mich sofort mit dem Rücken zur Wand und beobachtete ihn, denn ich traute weder ihm noch
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