Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
heiter, und von seinen Worten ging eine versteckte Verlockung aus, denn er versuchte, mit seiner Stimme meinen Willen zu beeinflussen. „Nein." Stille breitete sich im Raum aus, während ich seine blutigen Handgelenke, das übel zugerichtete Gesicht und die blutbespritzte Kleidung betrachtete. „Ich glaube, so gefällst du mir besser - in menschlicher Gefangenschaft."
Nerian gehörte zum Tierclan, was sich an seiner zotteligen braunen Mähne und seinen harten, animalischen Gesichtszügen erkennen ließ. Die Pupillen seiner leuchtend grünen Augen waren vertikale Schlitze, wie bei einer Katze. Die eisernen Fesseln waren das Einzige, was ihn davon abhielt, andere Naturi oder Tiere zu Hilfe zu rufen. Die alten Geschichten über die schädliche Wirkung von Eisen auf Feenwesen stimmten wirklich. Es verhinderte, dass die Naturi von ihrer Magie Gebrauch machen konnten.
Nerians spöttisches Lächeln schwand. „Das ist aber kein fairer Kampf." „Was versteht ein Naturi schon von Fairness?" „Was kümmert uns Fairness, wenn wir es mit Ungeziefer zu tun haben?" Nun war seine Stimme nicht mehr schmeichelnd, sondern eiskalt. „Vampire und Menschen sind gleichermaßen verachtenswert. Die Menschen haben wenigstens noch einen Nutzen, aber du hättest nicht so lange überleben dürfen. Vampire sind einfach nur Parasiten!"
Ich ballte die Hände zu Fäusten und ging mit zusammengebissenen Zähnen auf Nerian zu. Ich spürte, wie Danaus rechts hinter mir Position bezog und die Arme vor der Brust verschränkte. Ich näherte mich Nerian bis auf ein paar Zentimeter und starrte ihn finster an. Er hatte sich überhaupt nicht verändert, was mir sonderbar vorkam. Er hätte auf irgendeine Weise gezeichnet sein müssen: Als ich ihn zuletzt gesehen hatte, waren ihm die Eingeweide aus dem Bauch gequollen und beide Beine waren gebrochen gewesen. Ich hatte ihn zum Sterben liegen lassen. Er hätte tot sein sollen. Doch stattdessen stand er nun vor mir, mit blutigen Handgelenken vom Kampf gegen die Fesseln. Sein Lederwams war über und über mit Blut bespritzt. In seinem kantigen, breiten Gesicht klebten Blut und Dreck, seine braune Mähne war schmutzig und verfilzt. Aber er lächelte mich an, und in seinen grünen Augen funkelte eine grimmige Freude.
Ich weiß nicht, wie lange wir uns gegenüberstanden und uns anstarrten. Es mochten Stunden, vielleicht aber auch nur Sekunden gewesen sein. Die Zeit schien nur außerhalb dieses feuchten Kellerlochs zu existieren, und ich hatte jeden Bezug zu ihr verloren.
„Wurde das Siegel gebrochen?", fragte ich schließlich, denn für weitere Wortgefechte fehlte mir die Energie. Meine Stimme war rau wie ein Reibeisen.
Ich konnte es kaum glauben, aber sein Lächeln wurde noch breiter, und zum Vorschein kam ein makelloses, schneeweißes Gebiss. „Rowe hat mit der Sonne gesprochen", sagte er mit seiner schmeichelnden Stimme, die von kristallklaren Wassern und grünen Wäldern kündete. Diese Stimme hatte schon Dutzende verhext, bevor sie abgeschlachtet worden waren. „Die Dämmerung naht."
Nun konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bebte vor Wut und Angst am ganzen Körper. Meine Angst war sogar so groß, dass ich sie hinten im Rachen schmecken konnte. So groß, dass ich darin zu ertrinken drohte. Eine Flut von entsetzlichen Erinnerungen brach über mich herein. Die Naturi hatten mich zwei Wochen lang in Machu Picchu gefangen gehalten und jede Nacht gefoltert, bis ich schließlich irgendwann im Morgengrauen das Bewusstsein verloren hatte. Sie hatten mich dazu bringen wollen, ihnen als Waffe gegen die Nachtwandler zu dienen. Ich sollte ihr Schutz sein, wenn sie das Tor zwischen den beiden Welten aufstießen, um den Rest ihrer Spezies zu befreien. Aber ich hatte schon immer gewusst, dass sie nicht freikommen durften, denn sonst wurde alles zerstört, was mir lieb und teuer war.
Ich streckte blitzschnell die Hand aus, packte Nerian am Hals und drückte zu, bis ich spürte, wie meine Fingernägel Haut und Muskeln durchtrennten. Ich drückte, bis meine Hand voll von seinem warmen Fleisch war, und dann zog ich. Er rang ein letztes Mal nach Luft, als ich ihm die Kehle herausriss. Danach ließ ich den blutigen Klumpen fallen, doch einiges davon blieb unter meinen Fingernägeln kleben. Sein warmes Blut spritzte mir ins Gesicht, und ich blieb einfach mit geschlossenen Augen stehen und ließ es von mir abtropfen. Mir drohte abermals ein Schrei zu entfahren, doch ich unterdrückte ihn und lauschte den
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