Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
fuhren beide herum und erblickten Jabari, der auf dem unvollendeten Obelisken stand. Mit seinen eins fünfundachtzig und seinem traditionellen Gewand gab er eine beeindruckende Erscheinung ab. Sein schwarzes Haar war kurz geschnitten, und obwohl er ein Vampir war, hatte er eine sehr dunkle Haut. Er sah mich forschend mit seinen mandelförmigen, mahagonifarbenen Augen an. Danaus hingegen würdigte er keines Blickes, um zu zeigen, dass er ihm keine Bedeutung beimaß.
Obwohl er nur ein paar Meter von mir entfernt war, konnte ich ihn nicht spüren. Es war, als wäre er gar nicht da. Ich stand wie angewurzelt am Fuß des Obelisken und bekam keinen Ton heraus, weil ich einen riesigen Kloß im Hals hatte. Ich starrte Jabari an, als wäre er ein Gespenst.
Dann wurde sein Blick jedoch milder, und er winkte mich zu sich. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich sprang in Windeseile auf den Obelisken, warf mich an seine Brust, schlang die Arme um ihn und schmiegte meine Wange an seine Schulter. Als ich das Schluchzen hinunterschluckte, das mir die Kehle zuschnürte, biss ich die Zähne so fest zusammen, dass mir der Kiefer wehtat. Er war nicht tot! Ich hatte ihn gefunden!
Einen Moment lang drohte meine Welt aus den Fugen zu geraten. Es waren Jahrhunderte vergangen, seit er mich zuletzt hier in Ägypten in seinen gütigen Armen gehalten hatte. Er hatte mir geholfen, das Grauen hinter mir zu lassen, von dem ich befürchtet hatte, dass es mich bis in alle Ewigkeit in meinen Träumen verfolgte. Und dann war ich eines Tages gegangen, ohne noch einmal zurückzublicken. Von da an hatte ich auf eigenen Beinen gestanden. Und nun klammerte ich mich an ihn, als wäre er mein einziger Halt in diesem Leben.
„Willkommen zu Hause, meine Kleine", flüsterte Jabari mir zu und gab mir einen Kuss auf den Scheitel. Seinen wunderschönen Akzent zu hören war Balsam für meine strapazierten Nerven. Er legte seine starken Arme um mich und zog mich ganz fest an sich. „Das alte Königreich hat dich vermisst." Jabari war nicht nur ein Mentor, sondern auch die Stimme des Konvents, wenn unser Regent es vorzog, im Hintergrund zu bleiben. In den vergangenen Jahrzehnten hatte ich mich von Europa und dem Konvent ferngehalten und mich darauf konzentriert, in meinem eigenen Revier für ein stabiles Gleichgewicht zu sorgen. Es war zwar nie etwas Negatives über meine Entscheidung gesagt worden, doch dass der Konvent ein angespanntes Verhältnis zu mir hatte, bewies nicht zuletzt sein anhaltendes Schweigen. Ich war darauf angewiesen, dass Jabari mir Rückendeckung gab.
„Ich fürchte, wenn es dich hierher verschlägt, gibt es Probleme, meine Wüstenblume", sagte er und strich mir über den Kopf. Ich erschauerte und hatte alle Mühe, mich zusammenzunehmen. Jabari war der einzige Vampir in dieser Welt, dem ich vertraute. Nur bei ihm hatte ich mich bislang sicher und geliebt gefühlt. „Warum kann ich dich nicht spüren?" „Ich wollte nicht gefunden werden", erklärte er ohne jeden tadelnden Unterton. „Verzeih mir", sagte ich und ließ ihn widerstrebend los. „Ich hatte keine andere Wahl."
Ich wich ein paar Schritte zurück und strich mir mit zitternder Hand das Haar aus dem Gesicht. Allmählich bekam ich wieder einen klaren Kopf und löschte mit einer raschen Handbewegung die Feuerbälle, die den Steinbruch erhellten. Ich hatte nicht damit gerechnet, den Ältesten zu finden. Ich hatte es gehofft und mir gewünscht, doch erwartet hatte ich es nicht. Aber nun war er da, und er würde alles in Ordnung bringen.
„Es sei dir verziehen", sagte er mit einem majestätischen Nicken. „Was hat dich hergeführt?" „Die Naturi." Meine Stimme klang für meine Ohren matt und tonlos. Jedes Mal, wenn ich die Naturi erwähnte, schien etwas in mir zu sterben. Ich sah Jabari aufmerksam an, doch seine regungslose Miene ließ nicht erkennen, ob meine Antwort ihn überraschte oder ob er bereits wusste, dass die Naturi zurückzukehren drohten. „Wieso?" „Ihre Symbole erscheinen an Bäumen, und es gab eine Opferung vor dem Sonnentempel im indischen Konark."
Ich leckte mir nervös die Lippen und zwang mich, Jabaris durchdringendem Blick standzuhalten. „Und Nerian war hinter mir her. Die Naturi haben uns angegriffen ..." „Wie ist das möglich?", fiel Jabari mir ins Wort, blieb dabei aber ganz ruhig. „Du solltest Nerian vor über fünfhundert Jahren töten." Ich machte zögernd einen Schritt auf ihn zu und hob verteidigend die Hände. „Ich dachte, er wäre
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