Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
halben Schritt zurück und runzelte die Stirn. Vermutlich schockierte es ihn, dass ich bereit war, mein Leben für einen Jäger aufs Spiel zu setzen; für jemanden, der mir eher das Herz aus dem Leib reißen als mich retten würde. Ich war selbst erstaunt über mein Verhalten, aber die Bedrohung durch die Naturi hatte eine Ausnahmesituation geschaffen.
„Es hat doch keinen Sinn, ihn zu töten, wenn er Informationen hat, die uns nützlich sein können", sagte ich. „Ich bin zu dir gekommen, weil du in Machu Picchu dabei warst. Du warst immer das stärkste Mitglied der Triade. Ich bin zu dir gekommen, weil ich niemand anderem vertraue." Der Wind ebbte ab, und im Steinbruch breitete sich eine unerträgliche Stille aus, während der Alte mich mit finsterer, unergründlicher Miene anstarrte. „Du verteidigst ihn, als bedeute er dir etwas."
Ein übler Verdacht keimte in mir auf. Hatte Lucas den Konvent etwa schon mit dem neusten Tratsch versorgt? Waren die Gerüchte, die er verbreitete, der Grund für die anhaltende Funkstille?
„Ich verteidige ihn, weil es in dieser Situation das Beste ist. Ich lasse mir doch keine wertvollen Informationen entgehen, nur weil mir der Bote nicht passt." Mir gefiel die Richtung nicht, die diese Auseinandersetzung nahm, denn eines hatte ich in meinen sechs Jahrhunderten gelernt: An dem Ego eines Vampirs durfte man nicht kratzen. Und je älter er war, desto schlimmer wurde es. Es war mir zwar gelungen, Jabari zu beschwichtigen, und vielleicht begriff er inzwischen auch, dass ich recht hatte, aber das änderte nichts daran, dass jemand, der unter ihm stand, es gewagt hatte, ihm zu widersprechen.
Dafür musste er Vergeltung üben.
„Würdest du dich gegen deine eigenen Leute wenden, um diesen Jäger zu schützen?" Jabaris trügerisch ruhige Stimme umschmeichelte mich, doch sein gefasster Ton täuschte über die Drohung hinweg, die in seiner Frage schwang. „Meine Loyalität gehört denen, die sie verdienen." „Und er verdient sie? Ein Vernichter unserer Spezies?"
Ich wollte unwillkürlich einen Schritt zurückweichen, aber weil Danaus hinter mir stand, hatte ich nicht viel Bewegungsspielraum. „Ich schütze ihn, um unsere Spezies vor den Naturi zu retten, das ist alles." „Und wenn die Naturi weg sind?" Jabari klang so gelassen, als sprächen wir über das Wetter. Er hatte auch seine aggressive Haltung aufgegeben und sich wieder hoch aufgerichtet. „Dann lege ich sein Leben in deine Hände. Und das meine auch, wenn du es wünschst." Ich spürte, wie Danaus hinter mir erstarrte, aber er gab keinen Mucks von sich. „Du warst immer mein Freund und Beschützer, Jabari. Wenn du mein Leben haben willst, dann soll es dir gehören, aber ich denke nicht, dass uns das vor den Naturi rettet." Ich hätte am liebsten sein Gesicht in die Hände genommen, um seinen Hals zu küssen und ihm absolute Treue zu schwören, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich wusste, dass ich ihn bereits verloren hatte.
Jabari kam bedächtigen Schrittes auf uns zu. Etwa einen Meter vor mir blieb er stehen, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Es ist nicht dein Leben, das ich will, meine Mira." Seine Worte klangen so kalt, dass ich erschauderte und die Augen schloss. Danaus zog mich an sich, und als mich seine Wärme durchströmte, legte sich meine Panik so weit, dass ich etwas sagen konnte. „Sprich es nicht aus, Jabari!" „Ich habe das Recht, darum zu bitten."
Der Witz war nur, dass es eigentlich keine Bitte war. Wenn man von einem Ältesten gebeten wurde, sein Gefährte zu werden, dann musste man annehmen. Ablehnung führte unweigerlich zum Tod. Die meisten zögerten nicht, ein solches Angebot anzunehmen, denn diese Position war zwar gefährlich, aber auch sehr prestigeträchtig. Doch man verlor auch seine Unabhängigkeit, sämtliche Freiheiten und Rechte. Das war die Strafe, die Jabari für mich gewählt hatte. Nicht der Tod. Er würde mich zermürben, bis ich nur noch ein Schatten meiner selbst war und meine Existenz nicht mehr ertragen konnte.
„Du kennst meine Antwort", sagte ich leise und umklammerte Danaus' Arm so fest, dass sich meine Nägel in seine Haut bohrten. „Mira ..." Als ich aufsah, wusste ich, dass meine Augen in einem unheimlichen Dunkelviolett leuchteten, wie die giftigen Beeren der Tollkirsche. Im Kampf zu sterben war ehrenvoll, und ich war bereit, mich einem solchen Tod zu stellen. Was Jabari mir anbot, war pure Sklaverei. Meine Kräfte wallten in mir auf, bis ich das
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