Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
grenzenlose Verwirrung, als er Danaus' Geruch auch an mir wahrnahm. „Wieso bist du mit ihm unterwegs?" „Geht dich nichts an", versetzte ich, aber meine Worte kamen eher einem Knurren gleich. „Warum hast du nicht versucht, Tabor zu schützen, als er angegriffen wurde? War das nicht deine Aufgabe?"
„Ich war nicht dabei", sagte er und wand seinen Arm aus meinem Griff. Dann nahm er sein Bierglas, leerte es in einem Zug und knallte es auf den Tisch. Es war schon sonderbar: Das, was er an Energie einsparte, weil er auf das Atmen verzichtete, verschwendete er darauf, Alkohol zu verdauen. Soweit ich wusste, gab es keinen Vampir, der feste Nahrung verdauen konnte, aber Getränke konnten wir zu uns nehmen. Nur machte uns Alkohol leider nicht betrunken, doch wenn man das Blut eines betrunkenen Menschen zu sich nahm, hatte man eine ganz nette Dröhnung, wenn auch nur für äußerst kurze Zeit. Die Rauschzustände von Nachtwandlern hatten nichts mit Alkohol zu tun.
„Wo warst du?" Ich legte die Hand auf den Tisch, nahm sie jedoch sofort wieder weg, als ich merkte, dass er völlig klebrig war. „Ich war gerade verliehen." Sein rechter Mundwinkel zuckte, als unterdrücke er ein Grinsen. Ich nickte, und Danaus sah mich fragend an. „Es überrascht mich immer wieder, wie wenig du weißt", sagte ich zu ihm und legte die Hände in den Schoß. „Es ist bei uns üblich, dass man seine Schützlinge an andere gleich starke Nachtwandler verleiht. Eine Geste der Höflichkeit." „Und das lassen sie mit sich machen?" Danaus schürzte missbilligend die Lippen und ballte eine Hand zur Faust. „Als hätten wir die Wahl", warf Tristan leise ein. Mir entfuhr ein bitteres Lachen. „Wenn man jung und schwach ist, tut man, was einem gesagt wird. Und wenn man Glück hat, dann überlebt man die Aktion und kehrt zu seinem Schöpfer zurück." „Und wenn man getötet wird, während man verliehen ist?" Danaus sah mich die ganze Zeit unverwandt an. „Dann kann der Schöpfer des Betreffenden einen Schützling des anderen Vampirs töten. Faire Sache", entgegnete Thorne achselzuckend.
„Warum? Warum tut ihr so etwas?" Sogar als Danaus nun den Kopf schüttelte, ließ er mich nicht aus den Augen. Er studierte mich aufmerksam, als sähe er zum ersten Mal einen Vampir. Und ich sah das bisschen Respekt, das ich mir inzwischen möglicherweise bei ihm verschafft hatte, den Bach hinuntergehen. „Warum wohl?" Mein Lachen, mit dem ich einen unerwarteten Anflug von Betroffenheit und Verlegenheit zu überspielen versuchte, klang ziemlich schrill. „Aus Spaß an der Freude." Es wurde Zeit, dass Danaus uns ein bisschen besser kennenlernte -die guten wie die schlechten Seiten.
Ich schaute zu Thorne, der auf die Tanzfläche starrte. Sein Blick war abwesend, und ein Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. Er war mit den Gedanken offensichtlich ganz woanders. „Bei wem warst du? Bei Claudette?", hakte ich nach. Sie war dafür bekannt, dass sie sich gern an den Kindern der Alten vergriff. Ich hatte einmal das Vergnügen gehabt, ihr zu begegnen. Zum Glück war es nur ein kurzer Besuch gewesen. „Bei Macaire." Thorne blinzelte mehrmals, als tauche er langsam aus alten Erinnerungen auf. „Ich sollte bei der Einarbeitung seines neusten Gefährten helfen."
Abermals erschien ein Lächeln in seinem schmalen Gesicht, und die Spitzen seiner Eckzähne traten hervor. „Lucas ist ein Idiot", sagte ich leise. „Stimmt." Thorne kicherte und spielte mit einem Kronenkorken, während er wieder die Beine ausstreckte. „Er wird es nicht lange machen. Er denkt zu viel nach."
Es war traurig, aber wahr. Gute Diener taten genau, was man ihnen sagte, und sonst nichts. Wenn man anfing nachzudenken und die Bedürfnisse seines Herrn vorauszuahnen versuchte, daraufhin aber einen Fehler machte, dann wurde man ohne Umstände vernichtet. „Das Gleiche hat Tabor allerdings über dich gesagt", fuhr Thorne fort.
Ich sah ihm in die Augen, ohne irgendeine Regung zu zeigen. „Dass ich zu viel nachdenke?" „Nein, dass du nicht lange überleben wirst." Mir war, als blitzte in Thornes braunen Augen eine gewisse Schadenfreude auf. „Er hat gesagt, wenn Jabari nicht wäre, hätte der Konvent dich schon vor Jahrhunderten getötet." Ich hatte es schon eine ganze Weile vermutet, aber meinen Verdacht nun bestätigt zu bekommen jagte mir einen Schauer über den Rücken. „Ich bin keine Bedrohung für den Konvent." Ich bemühte mich, so zu klingen, als wäre mir das Ganze völlig
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