Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
wir waren nie weit von zu Hause weggekommen.
„Denkst du an einen bestimmten Zauber?",, fragte ich und drehte Ryan den Rücken zu, während er in der Mitte der Freifläche stehen blieb. Die Kraft in der Luft war unglaublich und lastete auf mir, als wollte sie sich einen Weg durch meine Haut in die Organe bahnen. Zugleich fühlte sich diese Energie zähflüssig und schwer an. Die Moleküle selbst fühlten sich zu groß an, um mich zu durchdringen, aber sie versuchten es trotzdem. „Ja", antwortete er. Selbst seine Stimme klang hier gedämpfter, als müsse der Klang sich den Weg durch die Energie bahnen. „Ich werde einen Sturm entfesseln."
Ich fuhr herum und starrte den Zauberer an, während mir bei dieser Ankündigung der Mund offen stand. „Ist das nicht ein ziemlich gewaltiger Zauber? Bei der ganzen Kraft, die hier in der Luft liegt, könntest du leicht die halbe Insel vernichten, von uns ganz zu schweigen." „Eigentlich könnte ich nicht nur diese Insel zerstören, sondern auch noch ein paar andere in der Gegend, wenn ich nicht extrem vorsichtig bin", sagte er. Seine Stimme klang ruhig und gleichgültig, als ob ihn der Gedanke, zahllose Leben auszulöschen, nicht im Geringsten beunruhigte. „Du hast es nicht anders gewollt."
„Ich wollte einen Zauber, keine Massenvernichtungswaffe! Warum einen so großen Zauber?" Ich wusste vielleicht nicht viel über Magie, aber dass Wetterzauber ausgesprochen kompliziert waren und eine Menge Energie erforderten, das wusste ich. Wenige konnten sie überhaupt wirken, und von denen, die es konnten, vermochten noch weniger diese Zauber zu kontrollieren, nachdem sie einmal entfesselt waren.
„Ich habe es dir doch gesagt. Ich bin kein Erdmagier. Ich kenne nicht sehr viele Erdsprüche, und die paar, die ich kenne, sind sehr gefährlich. Willst du wirklich, dass ich es tue?", wollte er wissen. Er hatte die Hände mit nach oben gekehrten Handflächen zur Seite ausgestreckt. Es schien, als sei er im Begriff, die Luft aus der Umgebung an sich zu reißen.
Zu meiner eigenen Überraschung zögerte ich nur einen Augenblick. Es war dumm. Es war gefährlich. Und es war vielleicht unsere einzige Chance, die Naturi auf Kreta aufzuhalten. Wenn wir sie heute Nacht stoppten, dachte ich, hätten wir die nächsten paar Nächte Zeit, um Rowe zu stellen, unser Hauptziel.
„Tu es." Ryan holte tief Luft, um Kraft zu sammeln, und schloss die Augen. Ich drehte ihm erneut den Rücken zu, als ein Schuss durch die Luft hallte. Verdammt. Wir bekamen Gesellschaft. Der Zauberer nützte mir jetzt gar nichts mehr. Er durfte bei dem komplizierten Spruch nicht gestört werden, auf den er sich eingelassen hatte, und ich musste ihn dabei beschützen, komme, was wolle.
Ich zog die Pistole aus dem Holster am Rücken und drehte mich langsam um, wobei ich die Waffe mit beiden Händen ausstreckte und die Gegend durchleuchtete. Noch sah und hörte ich nichts. Ein zweiter Schuss fiel, und die Kugel prallte hinter mir vom Stein ab. Mein Magen machte einen Satz, und ich wirbelte gerade noch rechtzeitig herum, um den Naturi zu bemerken, der mit über dem Kopf erhobenem Kurzschwert auf mich zugerannt kam. Ich feuerte drei Schüsse ab, bevor ich endlich eine Kugel in seiner Brust versenken konnte. Der Naturi wurde durch den Treffer zurückgeschleudert und stolperte dann über einen Trümmerhaufen, sodass er auf alle viere stürzte. Das Schwert fiel laut scheppernd zu Boden, während der Naturi leise stöhnte.
Ein Lächeln spielte um meine Lippen, dann wurde ich plötzlich auf die Knie geworfen. Meine Arme fielen herab, und die Pistole entglitt beinahe meinen tauben Fingern. Mich hatte nichts getroffen. Im Rücken spürte ich ein Ziehen, als ob etwas in mir gerissen wäre oder sich verkantet hätte. Mein Blick trübte sich, und Erschöpfung lastete auf meinen Schultern.
Ryan war es gelungen, meine Energie anzuzapfen. Ich bezweifelte, dass die meisten Menschen es auch nur bemerkt hätten. Sie hätten vielleicht nur kurz innegehalten, gegähnt und dann mit dem gewohnten Tagesablauf weitergemacht. Meine ganze Existenz jedoch bestand aus reiner Seelenenergie. Ich konnte keine eigene mehr erzeugen und war deshalb darauf angewiesen, mich vom Blut anderer zu ernähren. Wenn Ryan mich nicht bald loslassen würde, dann würde ich mich entweder stärken oder schlafen müssen. Das war im Moment keine Option. Sosehr ich den stöhnenden Naturi auch ausquetschen wollte, Naturi-Blut war für alle Nachtwandler giftig.
Ein Kratzen
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