Jägerin der Nacht 02 - Day Hunter
hinüber, die mich jetzt mit neu erwachtem Interesse betrachtete. Der Älteste richtete seinen kalten Blick erneut auf mich, und ein berechnender Ausdruck trat auf sein Gesicht, während beißender Frost die Zähne in mein Mark senkte.
„Impressionante" , sagte er langsam, während er ins Italienische zurückfiel. Dieses Mal allerdings stahl sich ein altertümlicher Akzent in das eine Wort, bevor er ihn unterdrücken konnte. Etwas von seinem wahren Wesen war seinen Schutzmechanismen entschlüpft, während er mit einem neuen Gedanken beschäftigt gewesen war. „Wir hatten uns schon gefragt, was du und der Jäger so kurz vor Sonnenaufgang noch draußen auf der Lagune getrieben habt. Wir wussten, dass er die Naturi spüren konnte, aber wir hätten nie gedacht, dass er sie auch durch unser Netz aus Zaubersprüchen wahrnehmen würde."
„Konnte er auch nicht, aber wir beide zusammen konnten es", berichtigte ich ihn. Macaires Augenbrauen schnellten bei dieser Nachricht in die Höhe, und sogar Jabaris Fassade zeigte Risse. Es war zwar nicht mehr als ein Zucken des Mundwinkels, aber immerhin. „Molto impressionante. Das erklärt, wie es dir gelingen konnte, selbst weit entfernte Naturi zu verbrennen. Bisher hatte ich geglaubt, du könntest nur in Brand setzen, was du auch sehen kannst", sagte Macaire. Die Finger seiner Rechten tanzten unruhig über die Armlehne des Throns, und er saß jetzt etwas aufrechter.
„Na ja, mir ist das alles leider völlig neu, schließlich hat man ja mein Gedächtnis gelöscht", höhnte ich. Meine Finger ballten sich zu Fäusten, und ich konnte mich gerade noch zurückhalten, die überall im Saal verteilten Wandteppiche in Brand zu stecken. „Ich hätte gedacht, der Konvent wüsste ganz genau, wozu ich imstande bin, nachdem er fast ein Jahrhundert lang an mir herum-experimentiert hat." Meine Worte troffen derart vor ätzendem Sarkasmus, dass ich beinahe fürchtete, sie würden sich durch den Marmorboden fressen.
„Das war noch unter Jabaris Herrschaft", sagte Macaire mit einer wegwerfenden Handbewegung, aber der Wink war diesmal schwerfälliger, und wieder flackerte etwas in seinen Augen auf. Zwischen Macaire und Jabari hatte immer schon eine gewisse Spannung geherrscht.
Obwohl sie einander nie offen angriffen, hetzten sie, ohne zu zögern, ihre diversen Gefolgsleute und Speichellecker aufeinander. Ich hätte fast wetten mögen, dass Macaire mich entweder gar nicht kontrollieren konnte oder wenigstens nie Gelegenheit bekommen hatte, es zu probieren. Unser Gespräch wurde jäh unterbrochen, als sich die Tür zur Linken erneut öffnete. Heraus kam eine Naturi.
Sie trug ein schlichtes handgefertigtes Kleid, das lange blonde Haar hing ihr zu Zöpfen geflochten auf den Rücken. Es gab fünf Naturi-Clans - Erde, Wind, Wasser, Licht und Tier. Sie war zu schlank und graziös für eine Angehörige des Tierclans, für gewöhnlich düstere, dunkelhäutige Wesen, die vor Muskeln nur so strotzten. Angehörige des Wasserclans konnten außerhalb des Wassers nicht überleben, und ihre Farbe passte ganz und gar nicht zu dem, was ich bisher vom Erdclan gesehen hatte, bei dessen Angehörigen Haare und Hautfarbe die ganze Farbpalette einer sommerlichen Blumenwiese zeigten. Blieb also nur noch Wind oder Licht. Wenn sie zum Lichtclan gehörte, wäre ich bei einem Angriff in Schwierigkeiten, denn sie könnte Feuer genauso leicht einsetzen wie ich. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass der Konvent eine Angehörige des Lichtclans in seiner Mitte duldete.
Allerdings hätte ich mir auch nicht träumen lassen, überhaupt irgendeinen Naturi frei im Thronsaal herumspazieren zu sehen. Die Hände vor dem Körper gefaltet wie eine Nonne auf dem Weg zum Gebet, betrat sie still den Saal. Den Blick auf die Ältesten gerichtet, neigte sie leicht den Kopf vor ihnen, schenkte aber uns dreien keinerlei Beachtung.
„Was macht sie hier?", herrschte ich, wobei sich jedes einzelne Wort durch meine Kehle und über meine Lippen kämpfte. Mein ganzer Körper zitterte vor Wut. Ich hatte geglaubt, schon meine Reaktion auf die erste Begegnung mit Sadira nach fünf Jahrhunderten wäre übel gewesen. Das hier war unendlich viel schlimmer. Der Anblick dieses zarten Wesens mit den scharfen Gesichtszügen löste in mir sofort den Wunsch aus, sie mit bloßen Händen in Stücke zu reißen. Ich wollte hören, wie sie schrie und um ihr Leben bettelte. Und dann wollte ich hören, wie sie mich anflehte, sie zu
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