Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
er und fuhr sich dann kopfschüttelnd durch den wilden braunen Haarschopf. »Sag mal, können wir uns später weiter unterhalten? Meine nächste Tour fängt gleich an.«
»Da fahren wir mit. Hab das schon mit Emmy klargemacht. Können wir uns in Sorrel-Weed unterhalten?«
»Ja, klar«, sagte er. »Wen hast du denn da mitgebracht?«
Zu meiner Überraschung wurde Mira tatsächlich rot, obwohl es im schwachen Schein der Laterne kaum zu erkennen war. Sie streckte die Hand nach mir aus und zog mich an ihre Seite. »Danaus, das hier ist ein Freund von mir, Nathaniel Mercer. Nicht verwandt mit Johnny Mercer. Er ist Master-Student am SCAD , und sein Spezialgebiet ist die Bewahrung unseres geschichtlichen Erbes. Nachts arbeitet er als Totengräber – beziehungsweise Fremdenführer – für Geister und Grabsteine .«
»Nett, dich kennenzulernen«, sagte Nate und schüttelte mir die Hand.
»Ebenso. Was ist das SCAD ?«, fragte ich, als ich seine Hand losließ und einen Schritt zurücktrat.
»Das Savannah College of Art and Design. Mira ist eine große Förderin dieser Institution. Ohne ihre Unterstützung könnten wir nicht mal die Hälfte unserer Projekte verwirklichen«, erklärte Nate.
»Ihr helft, eine Stadt instand zu halten und zu restaurieren, die mir sehr am Herzen liegt. Wie könnte ich mich da nicht engagieren?«, fragte Mira mit einem leichten Achselzucken.
Nate schüttelte nur den Kopf, während er sich bückte und die Laterne an sich nahm. »Dann los, ab in die Kutsche mit euch. Wir müssen allmählich, sonst fallen wir noch hinter den Fahrplan zurück.«
Mira kletterte in die schwarze Kutsche, und ich folgte ihr, während ich nicht allzu skeptisch auszusehen versuchte. Mir stand eine Geistertour durch Savannah bevor. So hatte ich mir den Abend eigentlich nicht vorgestellt. Andererseits war seit unserem kurzen Gastspiel im Dark Room gar nichts mehr nach meiner Vorstellung gelaufen. Mira steckte heute Abend voller Überraschungen.
Mira ließ mich auf der Rückbank ans Fenster rutschen, während sie sich so dicht wie möglich neben mich setzte. Die Kutsche füllte sich bald mit etwas verschüchterten Touris, die mehr oder weniger gruselige Dekorationen aus künstlichen Spinnweben, Skeletten und altmodischer durchbrochener Spitze bestaunten. Nachdem Nate alle kurz begrüßt und sie gewarnt hatte, dass die Kutsche sich nun auf eine Reise in die finstere, unheimliche Vergangenheit von Savannah begeben würde, wo die Toten nur darauf lauerten, nach ihnen zu greifen und sich neue Freunde zu suchen, fuhren wir los und rumpelten über das unebene Kopfsteinpflaster.
Auf unserem Weg durch die River Street spann Nate sein Garn über Heulen und Zähneklappern. Einstmals florierende Geschäfte aus alten Zeiten bargen Geschichten über Selbstmord und Feuersbrünste, Mord und Pestilenz. Als wir die River Street hinter uns ließen, sah ich zu Mira hinüber und stellte fest, dass sie Nate gebannt lauschte.
Wie kannst du dir nur so einen Bären aufbinden lassen? , fragte ich sie im Geist, um die anderen Gäste nicht zu stören, die Nate mit einer Mischung aus höflichem Interesse und milder Langeweile zuhörten.
Hier geht es nicht um die Geister , fuhr sie mich telepathisch an, s ondern um die Geschichte von Savannah. Manche von diesen Geschichten habe ich tatsächlich aus erster Hand miterlebt, und von anderen habe ich in der Zeitung gelesen. Für mich ist das eine Zeitreise in die Vergangenheit. Wirfst du denn nicht manchmal gern einen Blick zurück? Bilanzierst, was du überlebt hast?
Um ehrlich zu sein, vermied ich es, an meine Vergangenheit zu denken. Ich hatte mehr als ein Jahrtausend Weltgeschichte durchlebt. Kriege, Hungersnöte, Naturkatastrophen, Aufstieg und Fall ganzer Zivilisationen, die Entdeckung neuer Welten und den Tod der Menschen, die ich als meine Freunde betrachtet hatte. In meiner Erinnerung sah ich eine trostlose Landschaft aus Tod, Blut und Kämpfen mit den Ungeheuern vor mir, von denen gerade ein besonders prächtiges Exemplar neben mir in der gemütlichen Kutsche saß. Aber vor allem spürte ich beim Gedanken an meine Vergangenheit eine ungeheure Leere in mir, die ich unmöglich füllen konnte.
Nein.
Zu meiner Überraschung hakte sich Mira wieder bei mir unter und legte mir den Kopf an die Schulter. Ich merkte, wie sie sich entspannte, als wäre ihr eine unsichtbare Last von den Schultern genommen. Ich versuchte, mir ihren geschmeidigen Körper nicht allzu genau vorzustellen, der sich in
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