Jägerin der Nacht: Firestarter (German Edition)
jetzt ganz und gar nicht mehr fröhlich an. »Ist die Stadt am Tag wirklich so viel schöner?«
IchhattetatsächlichfürdenMomentvergessen,dassMiraihreHeimatnochnieimhellenSonnenscheingesehenhatte.Siehattenochnieerlebt,wiederForsyth-BrunnenimSommerfunkelteoderwiedasLichtdurchdasLaubderLebenseichenfiel,diediePlätzesäumten.NiehattesiedasTreibenderTouristenbeobachtet,diesichaufdenMärktendrängtenundsichumdieKutschenstritten,mitdenenmaninderAltstadtspazierenfahrenkonnte.
»Deine Stadt ist wunderschön«, hörte ich mich sagen und verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ob bei Sonnenschein oder im Mondlicht.«
»Danke«, flüsterte sie und spähte wieder die Straße entlang. »Oh, sieh mal, da ist sie ja!«
Ich löste den Blick von der Nachtwandlerin, die mir am Arm hing, als hätten wir ein Rendezvous, und sah dem Gefährt entgegen, das uns die Straße entlang entgegengerumpelt kam, die wir eben noch selbst auf dem Weg zur River Street genommen hatten. Entgegen meiner Erwartung war es kein Tourbus. Es war eine Kutsche. Eine schwarze Kutsche, deren Gestell von Schwarzlicht erleuchtet war. Durchbrochene Spitze und künstliche Spinnweben hingen in den ovalen Fenstern. Quer über die Flanke zog sich in Weiß der Schriftzug Geister & Grabsteine. Somit war auch die nächtliche Tour erklärt: Es handelte sich um eine Rundfahrt zu den Geistern der Stadt.
Ich nahm Mira bei der Hand, zog sie ein Stück von der Menge weg und beugte mich vor, sodass ich ihr ins Ohr knurren konnte: »Eine Geistertour? Meinst du das ernst?«
»Na klar! Warum sollte man sich denn sonst nachts die Stadt ansehen?«, fragte sie und sah mich dabei an, als wäre ich derjenige, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. »Savannah gilt immerhin als die unheimlichste Stadt Amerikas. Natürlich haben wir hier Geistertouren.«
»Ja, aber ich hätte nie gedacht, dass dich so was interessiert! Ich meine, das ist doch einfach lächerlich. Geister gibt es doch gar … «
»Sprich weiter, und ich trink dich bis zum letzten Blutstropfen aus, Danaus«, sagte sie leise und bedrohlich. »Du solltest es wirklich besser wissen.«
Ja, ich wusste es besser. Es gab Geister, natürlich. Ich konnte sie zwar nicht sehen oder mit ihnen sprechen, aber dann und wann hatte ich sie bereits gespürt. Für die meisten Menschen war es allerdings nahezu unmöglich, die Gegenwart eines Geistes zu bemerken. So einfach war das nämlich nicht. In den meisten Fällen ließen sich die Sichtungen schlicht als Produkt einer überspannten Einbildungskraft abtun, während Bilder meist bloß auf Fettflecken auf der Linse zurückzuführen waren.
»Gut, stimmt, aber das hier … «, sagte ich und machte eine Handbewegung in Richtung der schwarzen Kutsche. Die Gäste stiegen bereits ein. »Die glauben doch nicht wirklich, dass sie einen Geist zu sehen bekommen werden.«
Mira reckte das Kinn und schniefte vernehmlich. »Du wirst dich wundern«, sagte sie und drehte sich zur Kutsche um. »Außerdem sind wir nicht hier, um Geister zu sehen, sondern um mit Nate zu sprechen. Da ist er ja schon.«
In diesem Moment kletterte ein Mann in ausgebeulten braunen Hosen und weißem Hemd aus der Kutsche. Er hielt eine altmodische Laterne und einen Spaten in der Hand, der jedes Mal klapperte, wenn er die Spitze auf den Gehweg stieß. Er war als Totengräber verkleidet, was überaus passend erschien, denn ich würde Mira auf jeden Fall ins Grab bringen, wenn sie mich wirklich zwang, mich in diese Kutsche zu setzen.
»Nate!«, rief Mira und zog mich hinter sich her, als sie auf ihn zuhielt.
»Mira?« Beim Klang ihrer Stimme wirbelte der Totengräber herum. Ich blickte in ein jugendliches Gesicht, das mit schwarz-weißer Schminke so hergerichtet worden war, als hätte er mehr Zeit mit den Toten als mit den Lebenden verbracht. Mira ließ mich los, und Nate schloss sie in die Arme und hob sie in die Luft. Ich konnte gerade noch rechtzeitig beiseitespringen, als das Blatt des Spatens an mir vorbeisauste und mir beinahe die Nase abgetrennt hätte.
»Was machst du denn hier?«, fragte er und hielt sie eine Armeslänge von sich weg.
»Ich wollte was mit dir besprechen«, antwortete sie und deutete auf die Kutsche. »Hat mit der Arbeit zu tun.«
Nate stellte die Lampe auf den Gehweg und kratzte sich das Kinn. »Tja, schätze, das hätte ich mir denken können. Ich glaube, insgeheim habe ich gehofft, ich würde mir zu viele Sorgen machen.«
»War es denn so schlimm?«
»Nein, nicht was du denkst«, sagte
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