Jägerin des Herzens
Ich schicke dir eine Nachricht.«
»Nein.« Lily hielt ihn fest als er sich abwenden wollte. »Ich muss es jetzt sofort wissen. Lass uns jetzt etwas vereinbaren …«
»Geduld«, schnarrte er, riss sich los und grinste spöttisch. »A piü tardi, Lily.« Und mit einem Winken war er verschwunden.
»Es war mir ein wirkliches Vergnügen«, sagte sie und wischte sich die Tränen weg. Am liebsten wäre sie zusammengebrochen und hätte sich weinend vor wütendem Kummer am Boden gewälzt. Stattdessen stand sie da.
wie eine Statue, mit geballten Fäusten. Aber unter ihrer Verzweiflung war ein Flackern der Freude. Sie hatte ihre Tochter gesehen, und sie zweifelte nicht daran, dass es wirklich Nicole gewesen war. Sehnsüchtig erinnerte sie sich an das wunderschöne Gesicht unn und die Zerbrechlichkeit ihres Kindes. »Gott, behüte sie, behüte sie«, flüsterte sie.
Sie trat zu dem kleinen Araber, den Derek ihr geliehen hatte, und strich über den glänzenden braunen Hals des Tieres. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie schwang sich auf das Pferd und lenkte es aus einem Impuls heraus den Weg entlang den Giuseppe genommen hatte. Tief ins Niemandsland hinein, wo Polizisten weder bei Tag noch bei Nacht wagten, auf Streife zu gehen. In den dunklen Straßen herrschte reger Betrieb, es wurde gespielt und gehurt und vom Taschendieb bis zum Mörder waren alle Ganoven vertreten. Mit seinen zahlreichen Schlupfwinkeln, Sackgassen und dunklen Ecken war das Viertel die ideale Brutstätte für Verbrechen. Und das war die Welt in der ihr Kind lebte.
Als sie das edle Pferd und ihre elegant gekleidete Gestalt sahen, kamen von allen Seiten Bettler auf Lily zu und streckten ihr flehend die Hände entgegen. Einer von ihnen packte ihren Reitstiefel, und angstvoll trieb sie ihr Pferd zum Trab an. Wie dumm von ihr, sich ohne Waffen oder Schutz in eine solche Gegend zu wagen. Sie forderte die Gefahr sinnlos heraus. Sie bog in eine Seitenstraße ab und ritt zurück in die relative Sicherheit von Covent Garden.
Als sie das Ende der Straße erreichte, hörte sie heftigen Tumult der immer lauter wurde. Kleine Gruppen von Männern, manche von ihnen in Lumpen und manche elegant gekleidet wanderten zwischen baufälligen Holzhütten hin und her. Anscheinend fand dort eine Volksbelustigung statt. Lily runzelte die Stirn, als sie das Bellen und Knurren von Hunden hörte. Tierkämpfe, dachte sie voller Abscheu. Männer waren fasziniert von diesem blutrünstigen Sport. Sie steckten Tiere in einen Käfig mit bösartigen Hunden und sahen zu, wie sie sich gegenseitig tot bissen. Sie fragte sich, welches Tier wohl heute zur allgemeinen Unterhaltung abgeschlachtet wurde. Der letzte Schrei war es, den Hunden Dachse vorzuwerfen. Dachse mit ihrem harten Fell, den scharfen Zähnen und ihrer erbitterten Gegenwehr boten dem brutalen Publikum ein vergnügliches Schauspiel. Vorsichtig ritt sie in die Gasse zwischen zwei Gebäuden, um die Menschenmenge zu meiden, da sie wusste, dass die Männer, die solche Ereignisse besuchten, zu Gewalttätigkeit neigten. Sie wollte nicht von ihnen entdeckt werden.
Das Geschrei der Männer drang durch die Holzwände eines zur Arena umgebauten Schuppens. Zwischen Karren und leeren Käfigen hockte ein kleiner Junge auf dem Boden, den Kopf auf den angezogenen Knien. Seine Schultern bebten, als ob er weinte. Wider besseres Wissen zügelte Lily das Pferd. »junge«, sagte sie fragend.
Er hob sein schmutziges, tränenverschmiertes Gesicht. Er war dünn und blass, mit einem spitzen Gesichtchen. Er mochte so alt wie Henry sein, elf oder zwölf, war aber im Wachstum durch Mangelernährung oder Krankheit zurückgeblieben. Als er sie auf dem prächtigen Pferd sah, versiegten seine Tränen, und er sperrte den Mund auf.
»Warum weinst du?«, fragte Lily sanft.
»Ich habe nicht geweint«, erwiderte er und verschmierte mit seinem zerlumpten Ärmel den nassen Rotz über sein Gesicht.
»Hat dir jemand wehgetan?«
»Nein.«
»Wartest du hier auf jemanden?« Sie wies auf die Holzwand, die von dem Lärm, der dahinter herrschte, bebte.
»Ja. Sie kommen gleich, um ihn zu holen.« Der Junge wies nach hinten auf einen bemalten Wagen. Das klapprige Vehikel trug den Namen eines Wanderzirkus. Ein grau gescheckter Gaul war vor den Wagen geschirrt ein dürres, jämmerliches Geschöpf, das überhaupt nicht gesund aussah.
»Ihn?«, fragte Lily erstaunt und stieg vom Pferd. Der Junge stand auf und führte sie an die Seite des Wagens, wobei er respektvoll
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