Jägerin des Herzens
Abstand von ihr hielt. Lily keuchte auf, als sie hinter den Stäben das pelzige Gesicht eines Bären sah. »Grundgütiger!«, entfuhr es ihr.
Der Bär hatte seinen mächtigen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt. Er zog die Stirn in Falten, was ihm ein trauriges, fragendes Aussehen verlieh. »Er tut Eu nichts«, verteidigte der Junge ihn und streichelte über den Kopf des Tiers.
»Er ist ein guter alter Junge.«
»Alt in der Tat«, sagte Lily und starrte den Bären fasziniert an. Sein Fell war rau und filzig und teilweise grau gesprenkelt. Am Hals und am Körper hatte er einige kahle Stellen, die in dem dunklen Pelz weiß leuchteten.
Der junge strich weiter über den Kopf des Bären. »Ihr könnt ihn anfassen.«
Vorsichtig griff Lily zwischen die Stäbe, bereit ihre Hand sofort wieder zurückzuziehen. Der Bär schnaufte friedlich, die Augenhalb geschlossen. Sie strich sanft über seinen mächtigen Kopf und betrachtete das massige Geschöpf voller Mitleid. »Ich habe noch nie einen Bären angefasst«, murmelte sie. »Jedenfalls keinen lebendigen.«
Der Junge schniefte. »Er wird nicht mehr lange leben.«
»Bist du vom Zirkus?«, fragte Lily und las den Schriftzug an der Seite des Wagens.
»Ja. Mein Vater ist Dompteur Pokey kann sich an seine Tricks nicht mehr erinnern. Da hat mein Vater mir gesagt ich soll ihn herbringen und für zehn Pfund verkaufen.«
»Damit sie ihn zu Tode beißen?«, fragte Lily empört. Sie würden ihn am Boden festketten, und die Hunde würden ihn in Stücke reißen.
»Ja«, erwiderte der Junge kläglich. »Sie fangen mit Ratten und Dachsen an, um die Hunde aufzupeitschen. Und dann ist Pokey an der Reihe.«
Lily war außer sich. »Das ist doch kein Sport! Er ist ja viel zu alt um sich zu wehren.« Sie blickte auf den Bären und stellte fest dass die kahlen Stellen absichtlich rasiert worden waren, um die verwundbaren Bereiche zu markieren, an denen sich die Hunde festbeißen konnten. Er war für das Schlachtfest vorbereitet worden.
»Ich kann nicht ohne die zehn Pfund nach Hause kommen«, schluchzte der Junge. »Mein Vater würde mich verprügeln.«
Lily ertrug seinen jämmerlichen Gesichtsausdruck nicht mehr. Sie konnte nichts tun, nur hoffen, dass die Hunde kurzen Prozess mit dem Bären machen würden, damit er nicht zu lange leiden musste. »Was für ein Abend«, murmelte sie. Die Welt war voller Brutalität. Es war sinnlos, dagegen ankämpfen zu wollen. Der Anblick des geschlagenen, hilflosen Tiers verbitterte sie. »Es tut mir Leid«, sagte sie leise und kehrte zu ihrem Pferd zurück. Sie konnte nichts tun.
»Jetzt kommt der Schmierer«, murmelte der junge.
Lily blickte über den Rücken des Pferdes auf einen riesigen, schlampig gekleideten Mann, der auf sie zukam. Er hatte den Hals eines Bullen und Arme so dick wie ein Baumstamm. Sein Gesicht war mit schwarzen Stoppeln bedeckt und zwischen seinen Zahnstummeln hielt er eine Zigarre. »Wo steckst du, du kleiner Herumtreiber?«, donnerte er mit lauter, Stimme. Neugierig kniff er die Augen zusammen, als er den edlen Araber sah. »Was ist das?« Er ging um das Tier herum und starrte Lily an. Er musterte ihren eleganten Umhang, die weichen Falten ihres gelben Kleides und die üppigen schwarzen Locken, die ihr, in die Stim fielen. »Was für ein hübsches Häufchen Federn«, sagte er und leckte sich über die fleischigen Lippen. »Bringt Ihr eine Spende, Mylady?«
Lily gab ihm eine rüde Antwort und er brach in dröhnendes Gelächter aus. »Hast du den Fleischberg gebracht?
Lass mich mal sehen.« Beim Anblick des friedlichen Bären, der zusammengerollt in seinem Käfig lag, verzog er verächtlich die Lippen. »Großer Haufen Hundekuchen … der sieht so aus, als habe er den Kampf schon hinter sich!
Und dein Vater will einen Zehner für ihn?«
Der Junge zitterte vor unterdrückter Wut. »Ja, Sir.«
Lily konnte das Gehabe des Mannes nicht mehr ertragen. Es gab genug Grausamkeit und sinnloses Leiden auf der Welt. Verdammt wollte sie sein, wenn sie es zuließe, dass er den armen alten Bären quälte. »Ich bezahle zehn Pfund für ihn. Das arme Tier ist offenbar sowieso nicht von Nutzen für Euch, Mr. Schmierer.« Geschäftsmäßig, wie es zu ihrem kühlen Ton passte, griff sie diskret in ihr Mieder, um nach ihrer Geldbörse zu suchen.
»Sein Name ist Rooters«, sagte der junge leise. »Nevil Rooters.«
Lily zuckte zusammen, als sie merkte, dass Schmierer wohl ein in der Gosse übliches Schimpfwort war.
Das schallende Gelächter
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