Jägerin des Herzens
können, aber seit Carolines Tod lud er sich mehr Arbeit als nötig auf, um der Einsamkeit und den Erinnerungen zu entfliehen. Er verbrachte mehr Zeit in der Bibliothek als in jedem anderen Zimmer des Hauses und genoss den Frieden und die Ordnung.
Die Bücher standen in alphabetischer Ordnung, die Möbel waren sorgfältig arrangiert. Selbst die Karaffen auf der italienischen Eckanrichte waren mit geometrischer Präzision ausgerichtet.
Nirgendwo gab es Staub oder Flecken. Eine Armee von fünfzig Hausangestellten wachte in Raiford Park darüber.
Weitere dreißig kümmerten sich um die Gartenanlagen und die Stallungen. Besucher waren immer ganz entzückt über die gewölbte Marmoreingangshalle des Herrenhauses und über den großen Saal mit dem stuckierten Tonnengewölbe. Es gab Sommer- und Wintersalons, lange Galerien mit Kunstwerken, einen Frühstücksraum, ein Kaffeezimmer, zwei Speisezimmer, zahllose Schlafzimmer und Ankleideräume, eine riesige Küche, die Bibliothek, ein Jagdzimmer und zwei Wohnzimmer, die gelegentlich zu einem riesigen Ballsaal zusammengelegt wurden.
Es war ein großer Haushalt aber Penelope würde damit schon fertig werden. Seit frühester Kindheit war sie dazu erzogen worden. Alex zweifelte nicht daran, dass sie ihre Rolle als Hausherrin perfekt erfüllen würde. Sie war ein intelligentes Mädchen, nur ein wenig still und fügsam. Sie musste auch noch seinen jüngeren Bruder kennen lernen, aber Henry war ein wohlerzogener Junge, und sie würden wahrscheinlich gut miteinander auskommen.
Die Stille in der Bibliothek wurde von einem leisen Klopfen durchbrochen.
»Was ist?«, fragte Alex barsch.
Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Penelopes blonder Schopf tauchte auf. Ihre Zaghaftigkeit ärgerte ihn. Du liebe Güte, es kam ihm so vor, als betrachte sie es als gefährliche Angelegenheit ihn zu besuchen. War er tatsächlich so furchterregend? Er wusste, dass sein Verhalten manchmal grob war, aber selbst wenn er wollte, konnte er das wohl kaum ändern. »Ja?«, sagte er. »Komm herein.«
»Mylord«, meinte Penelope furchtsam, »ich möchte gerne wissen, ob die Jagd erfolgreich war. Habt Ihr sie genossen?«
Alex vermutete, dass ihre Mutter sie geschickt hatte. Penelope suchte seine Gesellschaft nie aus eigenem Antrieb.
»Die Jagd war in Ordnung«, sagte er, schob die Papiere auf seinem Schreibtisch zur Seite und wandte sich ihr zu.
Penelope trat nervös von einem Fuß auf den anderen, als bereite seine Gegenwart ihr Unbehagen. »Am ersten Tag ist etwas recht Bemerkenswertes passiert.«
Leises Interesse zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. »Ach, Mylord? Gab es einen Unfall oder einen Zusammenstoß?«
»So könnte man es nennen«, erwiderte er trocken. »Ich habe deine Schwester kennen gelernt.«
Penelope keuchte auf. »Lily war da? 0 du meine Güte …« Ihr fehlten die Worte, also schloss sie ihren Mund wieder und blickte ihn hilflos an.
»Sie ist recht außergewöhnlich.« Aus Alex’ Mund klang das nicht wie ein Kompliment.
Penelope nickte und schluckte. »Mittelmaß gibt es nicht bei Lily. Entweder mag man sie über alle Maßen oder …«
Sie zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ja«, erwiderte Alex sardonisch. »Bei mir ist es eher das Letztere.«
»Oh.« Penelope runzelte die Stirn. »Natürlich. Ihr seid beide recht entschieden in Euren Ansichten.«
»Das ist äußerst taktvoll ausgedrückt.« Alex blickte sie eindringlich an. Es machte ihn nervös, Lilys Widerschein in Penelopes süßem, sanftem Gesicht zu sehen. »Wir haben über dich geredet«, sagte er abrupt.
Penelope riss die Augen auf. »Mylord, ich muss Euch darauf hinweisen, dass Lily weder für mich noch für die übrige Familie spricht.«
»Das weiß ich.«
»Worüber habt Ihr geredet?«, fragte sie furchtsam.
»Deine Schwester hat behauptet du hättest Angst vor mir. Ist das so?«
Bei seiner kühlen Frage stieg ihr die Röte ins Gesicht. »Ein wenig, Mylord«, gab sie zu.
Alex ärgerte sich über ihre süße Schüchternheit. Er fragte sich, ob sie wohl in der Lage sein würde, sich zu wehren, wenn er jemals unfreundlich zu ihr sein würde. Als er aufstand und auf sie zutrat zuckte sie unwillkürlich zusammen. Als er vor ihr stand, legte er ihr die Hände um die Taille. Penelope senkte den Kopf, aber Alex merkte, dass sie tief Luft holte. Plötzlich stand ein verwirrendes Bild vor seinen Augen – er hob Lily vom Boden auf und hielt ihren schmalen Körper in seinen Armen. Obwohl Penelope größer und
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