Jägerin des Herzens
zusammen. Sie hat ihn in ihren Briefen an mich erwähnt.«
»Craven?« jetzt war ihm alles klar. Alex verzog verächtlich den Mund. Er war auch Mitglied in Cravens Club und hatte den Besitzer bei zwei Gelegenheiten kennen gelernt. Es passte ins Bild, dass Lily Lawson sich mit so einem Mann abgab, einem Proleten, der in besseren Kreisen verächtlich als ›Emporkömmling‹ bezeichnet wurde.
Wahrscheinlich hatte Lily die Moral einer Prostituierten, denn eine ›Freundschaft‹ mit Craven konnte nichts anderes bedeuten. Wie konnte eine Frau aus einer anständigen Familie, gebildet und gut erzogen, so tief sinken?
Aber Lily hatte es sich selbst so ausgesucht.
»Lily ist einfach zu umtriebig für das Leben, in das sie hineingeboren wurde«, sagte Penelope, die anscheinend seine Gedanken erriet. »Es wäre vielleicht alles anders gekommen, wenn sie nicht vor Jahren sitzen gelassen worden wäre. Der Verrat und die Demütigung, so verlassen zu werden … Ich glaube, deshalb hat sie so viele verrückte Dinge getan. Zumindest sagt Mama das.«
»Warum. hat sie nicht …« Alex brach ab und blickte zum Fenster. Er hatte draußen ein Geräusch gehört das Knirschen von Kutschenrädern auf der Kiesauffahrt. »Erwartet deine Mutter heute noch Besuch?«
Penelope schüttelte den Kopf. »Nein, Mylord. Vielleicht ist es die Gehilfin der Schneiderin, die noch etwas für meine Aussteuer nähen muss. Aber ich dachte eigentlich, sie käme erst morgen.«
Alex konnte es nicht genau erklären, aber er hatte so ein Gefühl … ein sehr ungutes Gefühl. »Lass uns einmal nachsehen, wer es ist.« Er riss die Tür der Bibliothek auf und eilte in die grauweiße Eingangshalle. Penelope war ihm dicht auf den Fersen, als er an dem alten Butler Silvern vorbeirauschte. »Ich kümmere mich schon darum«, sagte er zu Silvern und ging zur Haustür.
Silvern schniefte missbilligend über das unorthodoxe Verhalten Seiner Lordschaft, wagte aber nicht zu widersprechen.
Eine prächtige schwarzgoldene Kutsche mit unbekanntem Wappen stand vor dem Haus. Penelope eilte neben Alex und erschauerte in ihrem leichten Kleid, als ein kühler Windhauch sie traf. Es war ein dunstiger Frühlingstag kühl und frisch, mit tief hängenden Wolken. »Ich kenne die Kutsche nicht«, murmelte sie.
Ein Lakai in einer schwarzblauen Livree öffnete die Kutschentür. Formvollendet trat er einen Schritt zurück, um den Passagier aussteigen zu lassen.
Und dann tauchte sie auf.
Alex stand da wie zu Stein erstarrt.
»Lily!«, rief Penelope aus. Mit einem Aufschrei des Entzückens eilte sie auf ihre Schwester zu.
Übermütig lachend sprang Lily aus der Kutsche. »Penny!« Sie umarmte Penelope und hielt sie dann auf Armeslänge von sich entfernt. »Meine Güte, wie elegant du bist! Hinreißend! Ich habe dich seit Jahren nicht mehr gesehen – das letzte Mal warst du noch ein Kind, und jetzt sieh dich an! Das schönste Mädchen in ganz England!«
»O nein, du bist das schönste!«
Lily lachte und umarmte sie abermals. »Wie nett von dir, deiner altjüngferlichen Schwester so zu schmeicheln!«
»Du siehst überhaupt nicht wie eine alte Jungfer aus«, widersprach Penelope.
Trotz widerstrebender Gefühle musste Alex ihr zustimmen. Lily war wundervoll gekleidet, in einem dunkelblauen Kleid und einen Samtumhang, der mit Hermelin besetzt war. Ihre offenen Haare lockten sich anmutig um ihre Schläfen. Es war schwer zu glauben, dass dies dieselbe Frau war, die mit brombeerfarbenen Reithosen wie ein Mann auf dem Pferd gesessen hatte. Lächelnd und mit rosa Wangen sah sie aus wie eine wohlhabende junge Frau, die einen gesellschaftlichen Besuch machte. Oder wie die Kurtisane eines Aristokraten.
Lily sah ihn, als sie über Penelopes Schulter blickte. Ohne Scham oder auch nur eine Spur von Missbehagen löste sie sich von ihrer Schwester und trat auf ihn zu. Sie reichte ihm ihm kleine Hand und lächelte unschuldig. »Direkt ins feindliche Lager«, murmelte sie. Als sein finsterer Blick sie traf, glitzerten ihre Augen zufrieden.
Klugerweise unterdrückte Lily ein breites Grinsen. Damit hätte sie Raiford nur wütend gemacht. Aber er war verärgert. Bestimmt hatte er nicht im Traum angenommen, dass sie geradewegs zu seinem Landsitz kommen würde. Oh, sie hatte gar nicht gedacht dass ihr das so viel Spaß machen würde! Noch nie zuvor hatte sie ein solches Vergnügen dabei empfunden, einen Mann zu provozieren! Wenn sie mit Wolverton fertig war, würde seine ganze Welt auf den Kopf
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