Jägerin des Herzens
Mund, als er protestierte. »Sei still, Zach, ich kann nichts hören.« Aufmerksam lauschte Lily auf das Geräusch näher kommender Schritte. Ein schwerer, gemessener Gang – das musste Wolverton sein. Sie nahm die Hand von Zacharys Mund und schlang ihm die Arme um den Nacken. »Küss mich. Und achte darauf, dass es überzeugend aussieht!« »Lily, müssen wir das tun? Meine Gefühle für Penny …« »Es heißt doch nichts«, erwiderte sie ungeduldig. »Aber ist es wirklich not …«
»Tu es, verdammt noch mal!«
Kläglich gehorchte Zachary.
Der Kuss war genauso wie die anderen, die Lily in ihrem Leben bekommen hatte, also nicht besonders bemerkenswert. Der Himmel wusste, was die Dichter dazu bewog, etwas so leicht Unangenehmes als hinreißende Erfahrung zu beschreiben. Sie tendierte dazu, sich Swift anzuschließen, der sich gefragt hatte, »welcher Narr als erster das Küssen erfunden hatte«. Aber Liebespaare schienen es gern zu tun, und Wolverton sollte unbedingt glauben, dass sie und Zachary ineinander verliebt waren.
Die Tür zur Bibliothek ging auf. Einen Moment lang war es ganz still. Lily streichelte über Zacharys feine braune Haare und versuchte sich den Anschein zu geben, als sei sie an dem leidenschaftlichen Kuss beteiligt. Dann hob sie langsam den Kopf, als bemerke sie erst jetzt die Unterbrechung. Wolverton stand da und sah ganz staubig und zerzaust von der Reise aus. Sein gebräuntes Gesicht war finster. Lily grinste. »Na, wenn das nicht Lord Raiford mit seinem üblichen fröhlichen Gesichtsausdruck ist! Wie Ihr sehen könnt Mylord, habt Ihr gerade einen privaten Augenblick gestört …« Sie brach abrupt ab, als sie den Jungen bemerkte, der neben Wolverton stand. Ein kleiner blonder junge mit fragenden blauen Augen und dem Ansatz eines Lächelns auf dem Gesicht. Nun, damit hatte sie nicht gerechnet dass jemand außer Wolverton ihren Kuss sehen würde. Die Röte stieg Lily in die Wangen.
»Miss Lawson«, sagte Alex mit unheilverkündender Miene, »das ist mein kleiner Bruder Henry.«
»Hallo, Henry«, brachte Lily hervor.
Der junge verschwendete keine Zeit mit höflichen Floskeln. »Warum küsst Ihr Viscount Stamford, wenn Ihr Alex heiraten wollt?«
»Oh, ich bin nicht diese Miss Lawson«, erwiderte Lily hastig. »Ihr meint meine arme … das heißt meine jüngere Schwester.« Als sie merkte, dass sie immer noch auf Zacharys Schoß saß, sprang sie hastig auf und wäre beinahe hingefallen. »Penny und Mutter sind im Musikzimmer«, sagte sie zu Alex. »Sie singen.«
Alex nickte kurz. »Komm, Henry«, sagte er mürrisch, »ich stelle dir Penelope vor.«
Henry tat jedoch so, als habe er ihn nicht gehört und trat zu Lily, die gerade ihr Kleid glatt strich.
»Warum habt Ihr die Haare so kurz geschnitten?«, erkundigte er sich.
Lily lachte. »Sie waren mir im Weg und hingen nur dauernd in die Augen beim Jagen und Schießen.«
»Geht Ihr auf die Jagd?« Henry starrte sie fasziniert an. »Das ist gefährlich für Frauen.«
Lily warf einen raschen Blick zu Wolverton und merkte, dass er sie anstarrte. Sie konnte ein neckisches Grinsen nicht unterdrücken. »Tja, Henry Euer Bruder hat das Gleiche gesagt, als wir uns kennen lernten.« Plötzlich hatte sie das Gefühl, als zöge Alex leicht die Mundwinkel nach oben. »Mylord«, sagte Lily schelmisch, »habt keine Angst dass ich einen schlechten Einfluss auf Henry haben könnte. Ich bin eher eine Gefahr für ältere Männer als für jüngere.«
Alex verdrehte die Augen. »Das glaube ich Euch, Miss Lawson.« Damit schob er Henry aus dem Zimmer und ging, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen.
Lily rührte sich nicht. Sie war verwirrt und ihr Herz schlug heftig. Sein müder, erschöpfter Gesichtsausdruck, seine Hand, die beschützend auf der Schulter seines kleinen Bruders gelegen hatte ..,. all das erweckte ein seltsames Gefühl in ihr. Sie war nicht die Frau, die sich um einen Mann Sorgen machte, und doch verspürte sie auf einmal den Wunsch, jemand würde ihm über die Haare streichen, ihm ein leichtes Abendessen vorsetzen und ihn erzählen lassen, was ihn so bekümmerte.
»Lily«, fragte Zachary, »meinst du, er hielt unseren Kuss für echt?«
»Ganz bestimmt«, erwiderte sie mechanisch. »Warum nicht?«
»Er ist ein äußerst aufmerksamer Mann.«
»Ich bin es verdammt leid, wie ihn jeder über schätzt«, sagte Lily, aber sie bedauerte augenblicklich, wie scharf sie geklungen hatte. Sie war nur so erstaunt über das Bild, das ihr
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