Jägerin des Herzens
selbstlose Tat die Alex seit seiner Kindheit je für ihn begangen hatte, ausführlich zu erzählen. Lily blieb nichts anderes übrig, als ihm aufmerksam zuzuhören. Sie ertrug seine Geschichten mit bemerkenswerter Langmut.
Henry warf sich auf den Sitz ihr gegenüber und erzählte ihr, wie er einmal hoch oben auf einem Baum gesessen hatte und Alex hinaufgeklettert war, um ihn zu retten, wie er ihm Schwimmen beigebracht hatte, nicht zu vergessen die zahlreichen Nachmittage, an denen sie zusammen mit Zinnsoldaten gespielt hatten und Alex ihm beim Rechnen geholfen hatte.
»Henry …«, unterbrach Lily ihn schließlich. Lächelnd sagte sie: »Ich habe das Gefühl, du willst mich von irgendetwas überzeugen. Willst du mir klar machen, dass dein Bruder gar nicht so ein gefühlloses Ungeheuer ist?«
»Ja, genau«, erwiderte Henry, verblüfft über ihren Scharfsinn. »Genau! Oh, ich weiß, wie Alex manchmal sein kann, aber er ist ein toller Bursche! Das ist er bestimmt!«
Lily musste unwillkürlich lächeln. »Mein lieber junge, es spielt doch gar keine Rolle, was ich von deinem Bruder halte.«
»Aber wenn du Alex kennen würdest, ihn wirklich kennen würdest dann würdest du ihn mögen. Sehr sogar!«
»Ich habe nicht vor, ihn besser kennen zu lernen, als ich ihn bereits kenne.«
»Habe ich dir schon von dem Welpen erzählt, den er mir zu Weihnachten geschenkt hat als ich sieben war und…«
»Henry, gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du unbedingt willst dass ich deinen Bruder mag?«
Lächelnd wandte er seine blauen Augen ab. Er schien seine Antwort sorgfältig abzuwägen. »Du willst Alex daran hindern, Penelope zu heiraten, nicht wahr?«
Lily war verblüfft. Niedergeschlagen dachte sie, dass sie den gleichen Fehler gemacht hatte, den die meisten Erwachsenen machten, indem sie die Intelligenz von Kindern unterschätzten. Henry war ein äußerst aufmerksamer Junge. Natürlich hatte er begriffen, was bei seinem Bruder und den Lawsons vor sich ging. »Wie bist du darauf gekommen?«, fragte sie.
»Ihr seid alle sehr laut wenn ihr streitet«, erklärte Henry. »Außerdem haben die Dienstboten geredet.«
»Täte es dir Leid, wenn ich die Hochzeit verhindern würde?«
Der junge schüttelte den Kopf. »Oh, Penelope ist schon in Ordnung. Für ein Mädchen. Aber Alex liebt sie nicht.
Nicht so wie …«
»Caroline«, sagte Lily gepresst. Es gab ihr jedes Mal einen Stich, wenn der Name dieser verfluchten Frau fiel. Was war denn so verdammt großartig an Caroline gewesen, dass Alex halb wahnsinnig über ihren Verlust war?
»Erinnerst du dich noch an sie, Henry?«
»Ja, ganz gut. Obwohl ich damals noch ein Kind war.
»Und jetzt hast du das fortgeschrittene Alter von … was war es? Elf? Zwölf? erreicht.«
»Zwölf«, erwiderte er grinsend. »Du bist ihr sehr ähnlich, weißt du. Nur hübscher. Und älter.«
»Nun«, entgegnete Lily nüchtern. »Ich weiß gar nicht ob ich geschmeichelt oder beleidigt sein soll. Erzähl mir, was du von ihr gehalten hast.«
»Ich mochte sie. Caroline war lebhaft. Sie hat Alex nie so wütend gemacht wie du. Sie brachte ihn zum Lachen.
jetzt lacht er kaum noch.«
»Eine Schande«, erwiderte Lily. Sie dachte an das kurze strahlende Lächeln auf Alex’ Gesicht als sie in der, Galerie Karten gespielt hatten.
»Wirst du Derek Craven heiraten?«, fragte Henry beiläufig.
»Du lieber Himmel, nein.«
»Du könntest Alex heiraten, wenn du Penelope losgeworden bist.«
Lily lachte auf. »Losgeworden? Du lieber Himmel, das klingt als ob ich sie in die Themse werfen wollte! Zunächst einmal, mein Lieber, ich habe nicht vor, irgendjemanden zu heiraten. Und außerdem mag ich deinen Bruder noch nicht einmal.«
»Habe ich dir denn noch nicht von der Zeit erzählt, als ich Angst im Dunkeln hatte und Alex in mein Zimmer gekommen ist und mir erzählt hat …«
»Henry«, unterbrach sie ihn in warnendem Tonfall.
»Lass mich nur noch die Geschichte beenden«, drängte er.
Lily stöhnte und lehnt sich in ihrem Sitz zurück, während Henry mit der Aufzählung von Alex Raifords Tugenden fortfuhr.
Derek und Worthy beugten sich über den Schreibtisch im großen Spielsaal. Seine Mahagoniplatte war mit zahlreichen Notizen über den bevorstehenden Maskenball übersät. Das Einzige, worauf sie sich bisher geeinigt hatten, war, dass der Spielpalast wie ein römischer Tempel dekoriert werden sollte. Derek wollte, dass der Ball die Dekadenz der römischen Kultur auf ihrem Höhepunkt
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