Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
sogar eingreifen, das Traumgeschehen lenken oder bestimmen können. Aber an diesem Abend und bei diesem Mann reichte es ihr, sich erst einmal kundig zu machen.
Sie setzte sich gemütlich hin, sodass sie seine Stirn fixieren konnte, und öffnete ihren Geist.
Nathan Walker wanderte. Durch eine ebene Landschaft, ein Gebiet, das ihr unerwartet bekannt vorkam. Das überraschte sie. Blühendes Heidekraut, violette Glöckchen in dunklem Grün breitete sich auf einer weiten Fläche aus. Gelb leuchteten Ginsterbüsche, düster ragte der Wacholder auf. Weiße Schmetterlinge tanzten über den Blüten, und Bienen summten um ihre Kelche. Nathan beachtete jedoch die Farbenpracht nicht. Er wanderte, ziellos vielleicht, um etwas zu suchen. Mal hielt er hier an, mal dort, lauschte und beschattete seine Augen, um in die Ferne zu schauen. Doch wen immer er erwartete, er erschien nicht.
Majestät fühlte seine Enttäuschung.
Nach einer Weile zog er weiter, überquerte einen Bach und betrat den Wald am anderen Ufer. Die Umgebung veränderte sich, war nicht mehr die, die Majestät erwartet hatte. Nein, es war derselbe Wald, der hier in der Menschenwelt existierte. Die Sehnsucht schwand aus Nathans Traum, wurde zu einem fernen Ziehen in seinem Herzen, wich den kleineren Sorgen um kranke Bäume, neue Wildwechsel, die versteckte Höhle der Waldkatzen, Stapel von Nutzholz. Es war nun der friedliche Traum eines von der Tagesarbeit müden Mannes. Majestät vermutete, dass nun alles, was er sah, Teil von dem war, was er in der letzten Zeit erlebt hatte. Er schien zufrieden mit seinem Leben zu sein, gelassen und souverän in seinem Revier. Majestät beruhigte das. Doch nun änderte der Traum sich wieder.
Der Wald wurde dichter, das Unterholz verfilzte sich, der Pfad, den Nathan verfolgt hatte, war kaum mehr sichtbar. Ranken wucherten ihm entgegen, dornige Äste verhakten sich in seinen Kleidern. Er machte sich los, noch immer ohne Aufregung. Dennoch spürte Majestät die aufkommende Bedrohung. Er war so seltsam lautlos, dieser Traum. Knorrige Wurzeln legten sich schweigend vor seine Füße, wanden sich wie lebende Schlangen, ein heißer Windhauch fuhr durch das trockene Laub, das aber nicht raschelte. Und dann roch sie es.
Feuer.
Plötzlich hörte sie es auch.
Es knisterte, knackte, fauchte.
Warum floh er nicht? Alle Lebewesen flohen doch vor dem Feuer? Doch er verharrte, versuchte, die Flammen vor seinen Füßen auszutreten. Majestät spürte seine Verzweiflung. Nicht Angst, nicht Panik. Nackte Verzweiflung hielt ihn in ihren Klauen.
Er stöhnte.
Brennende Äste brachen nieder, Blätter wirbelten im Funkenflug auf, die Schreie der eingeschlossenen Tiere hallten durch seinen Traum, und noch immer versuchte er ganz allein der Feuersbrunst Einhalt zu gebieten. Mit bloßen Händen riss er brennende Äste auseinander, trat Glutnester aus, warf Erde auf lodernde Büsche. Das Inferno umtoste ihn, seine Haare fingen Feuer, seine Kleider brannten.
Majestät hätte gerne dem Traum eine andere Wendung gegeben, doch das lag außerhalb ihrer Möglichkeiten.
Nicht außerhalb ihrer Möglichkeiten aber lag es, den Mann zu wecken.
Sie trat vorsichtig vom Tisch auf seine Brust und setzte sich zurecht. Er rührte sich nicht, und sie betrachtete sein zuckendes Gesicht. Dort am Kinn befand sich eine fast verblasste Narbe, die die Haut rau erscheinen ließ.
Und als ihre Zunge sie berührte, erkannte sie, dass der Traum einst Wirklichkeit gewesen war.
Sanft leckte sie darüber, zweimal, dreimal. Und dabei sammelte sie alles, was an Schnurren in ihr war, in ihrem Bauch, ließ es durch ihre Kehle fließen und hüllte den Träumer in einen Kokon aus Vibrationen.
Eine Hand legte sich um ihr Hinterteil, und Nathan öffnete die Augen.
Verwirrung lag darin, der Abglanz des geträumten Waldbrandes, dann Staunen und Unglauben.
»Du?« Er zwinkerte. »Ich habe dich doch ins Tierheim gebracht.«
»Brrrip!«, sagte Majestät. Hätte sie ihr Ankh getragen, hätte er die Bestätigung und die Erklärung verstanden.
»Bist du ausgebüxt?«
»Mau!«
Er schüttelte die Nachwirkungen des Traumes ab und rieb sich mit der freien Hand über die Augen. Dann sah er Majestät wieder an. Sie erwiderte seinen Blick. Und sie legte, soweit es ihrem königlichen Charakter möglich war, eine Bitte hinein.
»Na, ist wohl nicht so schlimm. Wenn dich bis jetzt niemand gesucht hat, dann ist er es auch nicht wert, eine so edle Katze zu haben wie dich.«
Majestät war es
Weitere Kostenlose Bücher