Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
Kurzfassung.«
»Die Langfassung ist nicht für die Öffentlichkeit.«
»Ich verstehe. Und heute bilden Sie junge Leute zu Rangern aus.«
»Nicht nur Jugendliche. Sondern auch Natur- und Landschaftspfleger, wie das Wortungetüm für die Berufs-Ranger heißt.«
»Und wildern Waldkatzen aus.«
»Eines unserer Projekte, ja.«
»Ich werde mich bemühen, sie nicht zu stören. Und nun, Nathan, da Sie mir nicht mehr anvertrauen wollen, werde ich mich auf den Heimweg machen. Ich schicke Ihnen die ausgearbeiteten Touren zu, damit Sie sie prüfen und genehmigen können. Und Felina werde ich Ihnen auch auf den Hals hetzen.«
»Tun Sie das.«
»Du kannst hinter der Trommel hervorkommen, sie ist fort.«
Hatte er sie also doch bemerkt.
Vorsichtig arbeitete Majestät sich das Bücherbord hinunter. Das, was sie von ihm erfahren hatte, erklärte ihr einige Dinge, die sie bisher nur vermutet hatte. Ein Wanderer, anders als Gesa, aber einer, der nicht zufällig umherstreifte, sondern gelernt hatte, sich seine Ziele zu suchen. Was aber hatte er in ihrem Land gesucht? Auf wen hatte er gewartet? Woher kannte er es überhaupt?
Was hatte ihn jener Mann gelehrt, der ihm geholfen hatte, die Angstträume zu beherrschen?
Traumbeherrschung war eine urkätzische Fähigkeit, die nur selten bei Menschen zu finden war. Aber gerade jetzt wurden ihre Überlegungen auf gemeinste Weise sabotiert.
Nathan stellte ein Schälchen Sahne neben ihren Futternapf.
»Nightcap«, sagte er.
Schlapp!
Nach dem ausgiebigen Putzen des Milchbarts war Nathan bereits zu Bett gegangen, und Majestät besann sich wieder auf ihre Vorsätze. In den vergangenen Nächten hatte er wenig Bemerkenswertes geträumt, und darüber war sie selbst auch in tiefen Schlummer gesunken. Diesmal wollte sie sich nicht von den Schlafwellen überwältigen lassen, sondern weiter in seinen Träumen nach verdächtigen oder nützlichen Hinweisen Ausschau halten.
Er schlief unruhig, stellte sie fest, als sie sich auf seiner Bettdecke einrollte. Einmal stöhnte er sogar leise auf. Sie machte sich bereit, Einblick in seine Träume zu nehmen.
Wirr waren sie. Bildfolgen liefen durcheinander, ergaben für sie keinen Sinn. Ein Frauengesicht, jung, hübsch, aber irgendwie verzerrt. Eine lange Straße, eine wilde Fahrt. Landschaft flog vorbei. Eine Küche, nicht diese hier. Regen, kalter Wind. Ein kleiner Junge, der in eine Decke gekuschelt lag. Leere Gläser.
Wieder das leise Stöhnen.
Und dann der Stein, rund, von Wind und Sand abgeschliffen. Wogendes, gelbes Gras, trocken, vereinzelt hartlaubiges Kraut. Eine weite Ebene, hier und da Bäume, ihre Kronen ebenfalls vom ständigen Wind geformt. Die Halme flüsterten, über den blauen Himmel eilten Wölkchen. Das Land Wolkenschau, südlich der Witterlande. Auch das kannte er also. Und mehr noch, er hatte es betreten an einer Stelle, die er gar nicht hätte benutzen dürfen. Es gab in Trefélin nur noch einen Übergang – die Felsnadel am Mittelgrat. Nur sie wurde überwacht. Die anderen Portale waren schon seit Jahrtausenden verschlossen.
Das war beängstigend.
Und ebenfalls beängstigend war es, dass kein Lebewesen zu sehen war. Die Steppe bot gewöhnlich unzähligen Weidetieren Nahrung. Wo waren die Herden? Wo waren die Vogelschwärme? Wo waren die Jäger?
Was war mit ihrem Land geschehen?
Kalte Furcht schlich sich in ihr Herz. Sah Nathan, wie es wirklich war, oder sah er nur eine Landschaft seines Traumes?
Anders als beim ersten Mal, als er die Witterlande besucht hatte, bewegte er sich nicht durch das Gebiet, blickte er sich nicht suchend um. Es war, als ob er in vollkommene Ruhe versinken wollte, die Welt um ihn herum nur ein unbewegtes Bild.
Er schlief nun auch ruhig, in die Tiefen versunken, in die Majestät ihm nicht mehr folgen konnte. Fast hatte er sie mit hinuntergezogen, doch dann hörte sie plötzlich das Flüstern.
»Shaman!«
Wie der Wind in den Halmen klang es.
»Shaman!«
Wie das Rascheln der Zweige.
»Shaman!
Wie das Rieseln von Sand.
»Shaman!«
Der Träumer erwachte in seinem Traum und ließ seinen Blick suchend wandern. Majestät folgte ihm. Sie spürte Nathans Freude, bevor sie erkannte, wen er erblickte.
Und als sie erkannte, wer ihn gerufen hatte, zuckte Majestät vor Überraschung zusammen und fiel aus dem Bett.
Das Band war gerissen.
28. Weises Urteil
Das Entsetzlichste war nicht die Enge, waren nicht die grimmigen Wächter, der Hunger und der Dreck – das Entsetzlichste war die Ungewissheit.
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