Jägermond Bd. 1 - Im Reich der Katzenkönigin
der Geomantie beherrschten, das Aufspüren bestimmter Kraftlinien.
Und selbst jene, die die Gabe besaßen, wussten nicht, was sie wirklich damit bewirken konnten. Bis auf einen. Bis auf den, der die Erkenntnis gewonnen hatte – auf Wegen, die unerlaubt, kaum gesehen und von niemandem gebilligt waren.
Ein leises Vibrieren summte aus der Kehle des dunklen Schemen, und dann verschmolz er mit der Finsternis des Portals. Barthaare, Tasthaare an den Pfoten, ein sensibles Gehör, die feinfühligen Ballen – sie halfen dem Eindringling, den Pfad durch die schweigenden Grauen Wälder zu finden. Sie und das feine Summen seines Ohrrings lenkten die Schritte zu dem Dolmen in der Menschenwelt. Wer immer sich in den Nebeln versteckte, verkroch sich hinter den Stämmen, verbarg sich tiefer im Wabern der dunstigen Schwaden, duckte sich und wandte den Blick ab von den glühenden Augen des einsamen Wanderers.
Der aber, als er den Dolmen erreicht hatte, stimmte einen uralten Gesang an, und eine Mauer aus Düsternis versiegelte den Eingang.
Nicht für immer, dazu hätte es einer ganzen Gruppe Wissender bedurft. Doch für einen Mond lang würde an dieser Stelle kein Durchkommen sein. Weder mit Ring noch mit Ankh noch mit Todesmut.
Einen Mond lang – von Schwarzmond zu Schwarzmond: Das würde reichen, um Macht zu gewinnen.
Und wenn nötig musste man noch einmal diesen dunklen Weg gehen, auch wenn der Ring dadurch blind wurde.
Es gab ja noch andere Ringe, die nicht auf diese Weise genutzt wurden.
Leise und ungesehen kehrte der Zerstörer zurück, trat aus dem Portal in die nächtliche Welt Trefélins und huschte heimwärts.
Ungesehen vielleicht, doch nicht unbemerkt.
Bemerkt von Wesen, die Wache hielten.
Deren Aufmerksamkeit nichts von dem entging, das sich in ihrem Reich ereignete.
Von jenen, die schwiegen.
Von den Sphingen, die den Schwarzen Sumpf hüteten.
30. Planung des Übergangs
Feli beugte sich über das große Blatt Papier, auf dem sie die Umrisse einer sitzenden Katze von hinten gezeichnet hatte. Nefer saß neben ihr auf dem Schreibtisch und gab ihr Anweisungen.
»Den Schwanz nach rechts gelegt, um den Hintern.«
»So?«
»Ja, gut. Und jetzt im Nacken – hier«, er verdrehte sich und deutete mit der Zungenspitze auf die Stelle, »hier einen Stern einzeichnen.«
Feli tippte mit dem Bleistift auf die vermutete Stelle, Nefer drückte den Stift ein Stückchen weiter nach unten.
»Gut.«
»Das ist der Sternberg, der Sitz der Königin.«
Sie schrieb es daneben.
»Ein Stückchen weiter nach unten, dann die Wirbelsäule einzeichnen.«
Nefer drehte sich und sträubte ein wenig das Fell entlang seinem Rücken. Mit einer schwungvollen Linie legte Feli den Verlauf fest.
»Das ist der Mittelgrat, ein Gebirgsmassiv, Wasser- und Wetterscheide.«
»Wie hoch?«
»Hier«, er tippte an das südliche Ende, »hat es so um die dreitausend Meter, schätze ich, nach Norden wird es flacher. Dort endet es.«
Die Kralle ruhte kurz unterhalb des Sterns.
»Der letzte Berg ist der Menez Penn. Ihm entspringt der Dour Siron, der Fluss, der von ihm in einem hohen Wasserfall hinabstürzt und den Lind Siron bildet.«
»Scheint eindrucksvoll«, meinte Feli, die so was wie die Niagarafälle vor Augen hatte.
»Es ist die schönste Gegend meines Landes, Feli. Es ist das Laubental, eine leicht geneigte Ebene, geschützt vor den rauen Winden, durchzogen von klaren Bächen, mit blühenden Gehölzen, saftigen Wiesen, Fischen, Vögeln, fetten Herdentieren. Ja, es ist schön dort, und darum haben sich viele von uns dort angesiedelt. Eigentlich alle, die zum Hof oder zu den Scholaren gehören. Selbst die Königin hat am See eine Laube, und Amun Hab hält sich oft dort auf.«
»Beste Villenlage also. Und die weniger Privilegierten? Wo hausen die?«
»Privilegiert? So kann man es nicht sehen. Sie haben alle verantwortungsvolle Aufgaben zu erfüllen. Weit mehr als die Clans, die die anderen Gebiete bewohnen.«
»Also gut, Regierungsviertel.«
»So ungefähr. Und jetzt markiere das hier!«
Eine Krallenspitze deutete auf einen Punkt links neben dem Ende des Mittelgrats.
Feli machte ein Bleistiftkreuzchen.
»Roc’h Nadoz, der Übergangsfelsen.«
»Tatsächlich.«
»Ja, die einzige Stelle, von der aus wir in die Grauen Wälder gelangen.«
»Warum die einzige?«
»Ich denke mal, weil sie besser zu kontrollieren ist. Es hat anfangs wohl mehrere gegeben, in jedem Gau eine. Aber da immer weniger von uns Interesse hatten, in die
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