Jägermond Bd. 2 - Im Auftrag der Katzenkönigin
zu begrüßen.
»Charlene hat diese Organisation gegründet«, erklärte Kord. »Sie ist eine sehr beschäftigte Frau. Aber sie hat wirklich viel erreicht. Da, wo die staatlichen Systeme versagen, hilft sie.«
»In welcher Form?«
»Sie bietet denjenigen, die gestrandet sind, Unterstützung an. Ausbildung, medizinische Betreuung, vor allem aber Lebenshilfe. Sie ist tief im Glauben an das Gute verwurzelt und hat erkannt, in welche Fallstricke jene geraten können, die nicht über einen gefestigten Charakter verfügen.«
»Gehört sie einer Sekte an?«
»Nein, nein. Sie ist einfach nur eine gute Christin, wie wir alle hier.«
»Ähm – du auch?«
»Aber natürlich, mein Sohn.«
Bevor Finn, den diese Bemerkung etwas sprachlos gemacht hatte, eine einigermaßen nüchterne Antwort geben konnte, trat Charlene an das Rednerpult.
»Geliebte Brüder und Schwestern!«, begann sie mit volltönender Stimme ihre Rede, die schon gleich nach den Begrüßungsfloskeln und den Lobeshymnen von einem eigenartigen Verhalten untermalt wurde. Sie hob die Arme gen Himmel, sodass ihr Gewand ihre Gestalt umwogte, schloss die Augen und begann mit dramatischem Timbre von den Worten zu sprechen, die ihr von Gott gesandt wurden. Wann immer sie Luft holen musste, fielen die Zuhörer mit einem »Lobpreiset den Herrn!« ein. Finn beobachtete seinen Vater, der jetzt durch das Gedränge vor dem Rednerpult einige Schritte von ihm entfernt stand. Auch er zeigte denselben ekstatischen Gesichtsausdruck wie die anderen.
Zweifel begannen an ihm zu nagen.
War das echt? War das gespielt?
Finn zog sich ein Stückchen weiter Richtung Ausgang zurück und prallte dabei gegen einen Mann. Der zuckte zusammen, trat zur Seite und drängelte sich dann an der Wand entlang zum anderen Ende des Raumes. Wieder kribbelte Finns Rückgrat. Ein seltsamer Typ war das. Vage kam er ihm bekannt vor. Wo hatte er diese etwas zu langen, graublonden Haare schon mal gesehen?
Aber dann verlor er das Interesse daran, denn nun tönte Charlene mit eindringlicher Stimme über die Lobpreisungen hinweg, dass man Abkehr von Luxus und Moden nehmen solle. Dass die Frauen das Geld, das sie für Schminke und Schmuck verprassten, den Armen spenden sollten. Dass es gottgefälliger war, sich natürlich zu geben, als der Natur nachzuhelfen. Dass die innere Schönheit immer die äußere überstrahle.
Nerissa und Kristin würden ihr da einiges entgegenzusetzen haben. Finn grinste in sich hinein, als er sich die herzhaften Kommentare seiner Schwester zu diesem Sermon vorstellte.
Die Predigt näherte sich dem Höhepunkt, und alle klatschten und schnippten hingebungsvoll mit den Fingern, wobei sie intonierten: »Lobet den Herrn! Preiset den Herrn! Singet dem Herrn!«
Abgedreht, das, dachte Finn. Völlig abgedreht, diese Truppe. Mit was hatte sein Vater sich da nur eingelassen?
Er schlängelte sich weiter zum Ausgang hin, schob zwei Frauen, die mit geschlossenen Augen jubilierten, zur Seite und öffnete die Tür. Im Vorraum hingen Jacken und Mäntel an einer Garderobe. Er hatte schon seine Lederjacke angezogen und den Helm ergriffen, als sein Vater auf ihn zukam.
»Finn, tut mir leid. Das sollte eigentlich eine ganz nüchterne Veranstaltung werden, mit Tagesordnung und Kassenbericht und der Planung neuer Projekte. Aber Charlene hat eine exaltierte Ader, und man kann sie nicht bremsen, wenn sie ihre Visionen hat.«
»Aha, Visionen.«
»Oder gute Ideen. Eigentlich wollte sie für eine Sammlung werben. Wir brauchen Geld für unsere Vorhaben.«
»Na, dann soll sie mal Nerissa fragen, ob sie einen ihrer Lippenstifte in den Ring wirft.«
»Ach, Nerissa versteht das nicht. Sie und ich leben in ganz unterschiedlichen Welten. Das war schon immer so. Sie hat immer nur ihre Karriere im Blick gehabt. Menschlichkeit … Aber das weißt du ja selbst. Sie glaubt, dass jeder seine Nöte selbst verschuldet. Aber so, wie sie mich immer herumgeschubst hat …« Kord seufzte, dann schüttelte er den Kopf. »Vorbei, vergeben und vergessen. Ich habe meinen Weg gefunden. Und meinen Sohn. Das nächste Mal nimmst du mich besser mit in den Wald, mein Junge. Das ist dein Revier. Tut mir wirklich leid, dass das hier so ausgeartet ist.«
»Schon gut, Dad.« Finn fühlte sich überhaupt nicht wohl bei dieser Rede, aber der Vorschlag, mit Kord einen langen Spaziergang durch den Wald zu machen, gefiel ihm. Nur sie beide alleine. Er konnte ihm zeigen, warum er sich für den Beruf als Förster entschieden hatte. Nur
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