Jagd auf Mrs. Pollifax
Pollifax beschloß nachzusehen, ob Pie-Eye seine Wurfbude bereits geöffnet hatte, und ging zur Mittelstraße. Jake machte sich am Transformator zu schaffen und nickte ihr zu, als sie vorüberging. Sie hatte Pie-Eye noch nicht kennengelernt, ihn gestern abend nur flüchtig in seiner Bude gesehen und den hellroten Turban bemerkt, den er um den Kopf gewickelt hatte. Er betonte sein hageres, dunkelhäutiges Gesicht mit den schmalen Lippen und dem strichdünnen Schnurrbart darüber. Jetzt sah sie, daß seine Bude geöffnet war und er sich mit - ja, es war tatsächlich Kadi, unterhielt. Das würde die Befragung bestimmt erleichtern. Sie schle nderte über die Straße zu ihnen. »Er heißt gar nicht Pie-Eye«, empfing Kadi sie. »Aber weil niemand seinen Namen richtig aussprechen kann, nennt ihn
jeder so. Er heißt in Wirklichkeit ...« Sie blickte ihn fragend an. »Pyrrhus! Der Name eines Königs!« erinnerte er sie streng. »Ja, tatsächlich.«
Mrs. Pollifax nickte. »Und Sie betreiben die Wurfbude?« Er zuckte die Schultern. »Dieses Jahr, diese Saison, ja.« Er
lächelte sie großmütig an.
Sie erwiderte sein Lächeln. »Und zu anderen Zeiten?« Wieder zuckte er die Schultern. »Irgendwas. So gut wie
alles! Gedankenlesen, Wahrsagen, Glücksrad, Wurfringstand.
Ich beherrsche alles. Ich bin Medium und«, fügte er voller
Charme hinzu, »ein Genie.«
»Ein Allroundtalent«, stellte sie schmunzelnd fest. »Ein
wahres Wunder, daß Sie hier sind und nicht bei einem der
großen Vergnügungsparks.«
Sein Charme war plötzlich wie fortgewischt. Er starrte sie
argwöhnisch an und sagte kühl: »Ich gehe, wohin es mir gefällt
- wohin meine Bestimmung mich führt -, ich folge dem Wind.« »Heute ist es ein Südostwind«, warf Kadi schlichtend ein.
»Ein ziemlich schwüler noch dazu.«
Sie blinzelte Mrs. Pollifax zu und wandte sich zum Gehen.
»Kommen Sie, Emmy. Suchen wir Boozy Tim.« Als sie außer
Pyrrhus' Hörweite waren, sagte sie: »Niemand mag Pie-Eye.
Gertie erzählte mir, daß ihn alle für einen Langfinger oder so
was auf der Flucht halten. Vielleicht ist er derjenige.« »Sie sind ja schon ganz schön rumgekommen«, neckte Mrs.
Pollifax sie. »Haben Sie neue Zeichnungen?«
Kadi blickte auf ihren Skizzenblock. »Bloß von den zwei Männern aus dem Wagen der CHIGISCHROTVERWERTUNG, die mich verfolgt haben. Nur, daß
ich sie nie ganz aus der Nähe gesehen habe.«
Mrs. Pollifax betrachtete die beiden Gesichter und murmelte:
Ȁlter, als ich dachte. Asiatisch, orientalisch, vielleicht? Grob
und brutal. Nicht gerade jemand, von dem man verfolgt werden
möchte.«
»Nein«, bestätigte Kadi. »Ich dachte mir eigentlich nur,
wenn ich versuchte, sie auf Papier zu bannen, würden sie aus
meinen Träumen verschwinden. Gestern nacht haben sie mich
in meinem Alptraum wieder in Ihren Garten verfolgt. Als sie
das mit scheinbar gleichmütiger Stimme gestanden hatte, fuhr
sie lächelnd fort: »Haben Sie gewußt, daß Boozy Tim auf
Frachtschiffen rund um die Welt gefahren ist? Daß er als
Stadtstreicher sein Leben fristete, als Willie ihn fand?« »Nein, das wußte ich nicht.«
Kadi nickte. »Es gibt noch mehr, was ich Ihnen bisher nicht
erzählen konnte. Man hat mir bereits drei Jobs angeboten -drei!
Pogo, der Professor und - Sie werden es nicht glauben! -
Willie. Für den Sommer.«
»Willie!«
Kadi strahlte. »Er möchte, daß ich eine Kohlezeichnung von
ihm für sein Wohnzimmer mache - aber nicht als Ersatz für
Elvis Presley - und neue Rummelplakate entwerfe und die
Bilder im Zehn-in-Einem ein wenig verschönere, vor allem die
von El Flamo und von den Tanzmädchen.«
Amüsiert fragte Mrs. Pollifax: »Und haben Sie bereits
zugesagt?«
Kadi wirkte bedrückt. »Ich sagte Willie, daß ich zuerst
herausfinden müsse, was mit Sammy los ist.« Sie blickte um
sich. Dann rief sie dem Rummelvormann zu: »Jake, haben Sie
Boozy Tim gesehen?« Jake lächelte sie fast schüchtern an. Alle lächelten Kadi an, bemerkte Mrs. Pollifax. Es war auch
fast unmöglich, es nicht zu tun. Sie war ein so sonniges Ding
mit strahlenden Augen, rosigen Wangen, das dunkle Haar
windzerzaust.
»Boozy Tim? Er ist in die Stadt. Zu Fuß.« Überrascht sagte
Mrs. Pollifax: »An einem so heißen Tag? Shannon hat heute
morgen gesagt, daß er sich nicht besonders wohl fühlte.« Jake runzelte die Stirn. »Sie hat ihm angeboten, ihn zu
fahren, aber er wollte lieber zu Fuß gehen.« Er schüttelte den
Kopf. »Er verläßt selten den Rummel, wahrscheinlich brauchte
er ganz
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