Jagd auf Roter Oktober
seinen Zorn an, bis er entschied, dass der Staat würde büßen müssen.
Diese Idee nahm über Wochen hinweg Gestalt an und war das Resultat einer Karriere, in der Üben und Vorausplanen vorangestanden hatten. Als die Arbeit an Roter Oktober nach zweijähriger Unterbrechung wieder aufgenommen wurde, wusste Ramius, dass er das Kommando haben würde. Er ließ sich von seinem Posten ablösen, um sich ganz auf Bau und Ausrüstung von Roter Oktober konzentrieren und im vornhinein die Offiziere ausbilden zu können, damit das Raketen-U-Boot früher einsatzbereit war. Der Kommandant der Nordflotte entsprach seiner Bitte.
Seine Offiziere kannte Ramius bereits – alles Absolventen der »Akademie«, viele »Söhne« von Marko und Natalia; Männer, die ihre Stellung und ihren Rang Ramius verdankten.
Ramius schaute am Tisch in die Runde. Vielen seiner Offiziere war trotz Tüchtigkeit und Parteimitgliedschaft ihr Karriereziel verwehrt worden. Harmlose Missetaten in der Jugend – in einem Fall mit acht Jahren begangen – hatten zur Folge, dass man zweien nie wieder Vertrauen schenkte. Beim Raketenoffizier lag es an seiner jüdischen Abstammung, obwohl seine Eltern überzeugte Kommunisten gewesen waren. Der ältere Bruder eines anderen Offiziers hatte 1968 gegen die Invasion der Tschechoslowakei demonstriert und die ganze Familie in Misskredit gebracht. Melechin, Chefingenieur und ranggleich mit Ramius, sah den Weg zu einem eigenen Kommando versperrt, weil seine Vorgesetzten wollten, dass er Ingenieur blieb. Und Borodin, der reif für sein eigenes Boot war, hatte einmal einen Politoffizier der Homosexualität bezichtigt. Der Mann, den er angezeigt hatte, war der Sohn des ranghöchsten Politoffiziers der Nordflotte. Es führen viele Wege zum Verrat.
»Und wenn sie uns finden?«, spekulierte Kamarow.
»Ich bezweifle, dass selbst die Amerikaner uns finden, wenn die Raupe läuft. Unseren U-Booten gelingt es mit Sicherheit nicht. Genossen, ich habe am Entwurf dieses Bootes mitgearbeitet«, sagte Ramius.
»Und was wird aus uns?«, murmelte der Raketenoffizier.
»Erst müssen wir die anstehende Aufgabe erledigen. Ein Offizier, der zu weit vorausschaut, stolpert über die eigenen Füße.«
»Man wird nach uns suchen«, meinte Borodin.
»Gewiss«, versetzte Ramius lächelnd, »aber bis man weiß, wo man suchen muss, ist es zu spät. Genossen, unsere Mission ist, nicht entdeckt zu werden. Und das schaffen wir.«
Vierter Tag
Montag, 6. Dezember
CIA-Zentrale
Ryan schritt durch den Korridor im Obergeschoss der CIA-Zentrale in Langley, Virginia. Drei verschiedene Sicherheitskontrollen hatte er bereits hinter sich, ohne die abgeschlossene Aktentasche, die er nun unterm Mantel trug, öffnen zu müssen.
Für seine Garderobe war vorwiegend seine Frau verantwortlich: ein teurer Anzug, in der Savile Row erstanden, weder konservativ noch modisch. In seinem Kleiderschrank hing nach Farben geordnet eine ganze Reihe solcher Anzüge, zu denen er weiße Hemden und gestreifte Krawatten trug. Sein einziger Schmuck bestand aus einem Trauring und dem Siegelring seiner Universität.
Körperlich war er nicht sehr beeindruckend. Er war über einsachtzig groß und seine Figur litt um die Taille herum an Bewegungsmangel. Seine blauen Augen wirkten täuschend leer; oft war er in Gedanken versunken und stellte sein Gesicht gewissermaßen auf Autopilot, wenn er an Daten oder Material für das Buch herumrätselte, an dem er gerade schrieb. Beeindrucken wollte er nur Leute, die er kannte; die anderen waren ihm ziemlich gleich. Ehrgeiz, zur Prominenz zu zählen, hatte er nicht. Sein Leben, fand er, war auch so schon komplizierter als nötig – und sehr viel komplizierter, als viele ahnten. Es schloss eine Frau ein, die er liebte, zwei Kinder, die er vergötterte, einen Beruf, der seinen Intellekt forderte, und ein Maß an finanzieller Unabhängigkeit, das es ihm erlaubte, sich seinen eigenen Weg zu wählen. Jack Ryan hatte sich für den CIA entschieden. Das Motto der Behörde lautet: »Die Wahrheit macht frei.« Der Kniff ist, diese Wahrheit zu finden, sagte er sich mindestens einmal täglich, und obwohl er bezweifelte, diesen begnadeten Zustand jemals zu erreichen, war er doch ein wenig stolz auf seine Fähigkeit, sich ihm durch Kleinarbeit zu nähern.
Das Dienstzimmer des stellvertretenden Direktors, Kürzel DDI, nahm eine ganze Ecke des Obergeschosses ein, das Aussicht über das baumbestandene Tal des Potomac bot. Ryan musste eine weitere
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