Jagd auf Roter Oktober
sorgfältig gesiebt war, da die sowjetischen Teilstreitkräfte so wenige Informationen wie möglich austauschen. Viel Post gab es heute von beiden Ämtern nicht. Der Wochenplan war bei der üblichen Besprechung am Montagnachmittag festgelegt worden, und Padorin hatte fast alles, was ihn anging, inzwischen delegiert. Er schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein und öffnete eine Packung Zigaretten ohne Filter. Dann warf er einen Blick auf den Terminkalender. Gut, kein Besucher vor zehn.
Unten im Stoß lag ein Umschlag von der Nordflotte. Laut Kennnummer in der linken oberen Ecke stammte er von Roter Oktober. Hatte er nicht gerade etwas über dieses Boot gelesen?
Padorin sah sich seine Berichte noch einmal an. Ah, Ramius war also nicht in seinem Übungsgebiet aufgetaucht. Er zuckte die Achseln. Raketen-U-Boote sollten schwer auffindbar sein, und es würde den alten Admiral überhaupt nicht überraschen, wenn Ramius sich ein paar Streiche erlaubte.
Roter Oktober, wenn das nun kein passender Name für ein sowjetisches Kriegsschiff war! Er stand nicht nur für die Revolution, die die Weltgeschichte verändert hatte, sondern auch für die in Stalingrad so erbittert umkämpfte Traktorfabrik. Da auf dem Umschlag »vertraulich« stand, hatte sein Sekretär ihn ungeöffnet gelassen. Der Admiral holte seinen Brieföffner aus dem Schreibtisch.
»Genosse Admiral«, begann der Brief in Maschinenschrift – aber die Anrede war durchgestrichen und durch »Lieber Onkel Jurij« ersetzt worden. So hatte Ramius im Scherz zu ihm gesagt, als er noch Politoffizier der Nordflotte war. »Besten Dank für das Vertrauen und die Chance, die Sie mir mit dem Kommando auf diesem großartigen Schiff gegeben haben!« Ramius hat auch Grund zur Dankbarkeit, dachte Padorin. Leistung hin und her, so ein Kommando gibt man nicht jedem.
Waaas? Padorin hörte auf zu lesen und begann von vorn. Als er am Ende der ersten Seite angelangt war, hatte er die im Aschenbecher verqualmende Zigarette vergessen. Das musste ein Witz sein. Ramius war für seine Scherze bekannt, aber für diesen würde er büßen müssen. Das ging nun wirklich zu weit! Er drehte den Bogen um.
»Onkel Jurij, das ist kein Scherz. Marko.«
Padorin schaute aus dem Fenster. In der Kremlmauer waren an dieser Stelle die treuesten Diener der Partei beigesetzt, darunter auch Ramius senior. Ich muss den Brief missverstanden haben, dachte Padorin und las ihn noch einmal von vorn. Seine Hände begannen zu zittern.
Er hatte eine Direktleitung zu Admiral Gorschkow und brauchte keinen Sekretär einzuschalten.
»Genosse Admiral, hier Padorin.«
»Guten Morgen, Jurij«, erwiderte Gorschkow freundlich.
»Ich muss Sie sofort sprechen. Wir haben hier eine Krisensituation.«
»Was für eine Krisensituation?«, fragte Gorschkow argwöhnisch.
»Das kann ich Ihnen nur persönlich sagen. Ich komme gleich zu Ihnen.« Am Telefon konnte er es nicht besprechen; er wusste, dass es abgehört wurde.
USS Dallas
Sonar-Mann Zweiter Klasse Ronald Jones war, wie sein Leutnant feststellte, wieder einmal in Trance. Der junge College-Aussteiger hing mit geschlossenen Augen schlaff über seinem Instrumententisch, und sein Gesicht hatte jenen leeren Ausdruck, den er aufsetzte, wenn er eine seiner zahlreichen Bach-Kassetten hörte. Jones war ein kritischer Hörer, der seine Bänder in Fehlerkategorien einteilte – Klavier holprig, Flöte schludrig, Flügelhorn zaudernd. Den Unterwassergeräuschen lauschte er ebenso scharf und aufmerksam. In allen Marinen der Welt galten U-Boot-Männer als eigenwilliger Verein, und diese wiederum fanden Sonar-Männer kauzig. Doch über ihre Exzentrizitäten sah man mehr als anderswo beim Militär hinweg. Der stellvertretende Kommandant erzählte gerne von einem Sonar-Chief, mit dem er zwei Jahre lang gedient hatte, einem Mann, der praktisch seine ganze Karriere auf Raketen-U-Booten in einem bestimmten Seegebiet verbracht hatte. Er wurde mit den Buckelwalen, die dort den Sommer verbrachten, so vertraut, dass er ihnen Namen gab. Nach der Pensionierung arbeitete er fürs ozeanographische Institut Woods Hole, wo man auf seine Fähigkeiten nicht amüsiert, sondern mit Ehrfurcht reagierte.
Vor drei Jahren war Jones mitten im ersten Jahr vom California Institute of Technology geflogen. Er hatte sich einen jener einfallsreichen Streiche geleistet, für die Cal-Tech-Studenten zu Recht berühmt sind, und war erwischt worden. Nun diente er in der Navy, um seine Rückkehr an die Uni zu
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