Jagd in die Leere
Elend, das der Dichter in seiner Villanelle zum Ausdruck hatte kom men lassen wollen – und wie nutzlos das gewesen war! – dieses Wesen überkommen hatte.
»Wirst du unserem Befehl Folge leisten?«
Der Dichter versuchte, sich auf dem Gestell zu strecken, fühlte jedoch, wie seine Schultern eine Idee zur Seite glitten, dann packten seine Hände die Tischkante, so daß ein Fallen unmöglich war. Er schluckte. Er befeuchtete seine Lippen. Er versuchte vernünftig zu sein. Es war wichtig, vernünftig zu sein, weil man sich daran festhalten konnte, wenn alles andere versag te. Abgesehen davon stand das Schicksal der Welt auf des Messers Schneide.
»Ja«, sagte er schließlich.
Und dann löschten sie alle Lichter und ließen ihn dort. In der geschmolzenen Dunkelheit, die mit flackernden Lichtpunkten angereichert war, stellte er sich vor, er könnte sie lachen hören.
Aber das war unmöglich.
Die Wächter lachten nie.
Sechs
DRAUSSEN:
Nun, zur Zeit von William Archers Zusammenbruch – die zufälligerweise noch nicht allzulange zurücklag – lebte ein Arzt in der Schweiz; ein sehr seltsamer, hauptsächlich-von-Gerüchten-umgebener-aber-selten- gesehener Arzt, dem vor vielen Jahren in den Vereinigten Staaten die Lizenz entzogen worden war, der aber nun eine Klinik für Gehirngeschädigte leitete, in der – die Wörter geheimnisumwittert und populär drücken es gleichermaßen aus – Wunder vollbracht wurden. Diese Klinik war sehr exklusiv und enorm teuer, und man sagte, daß dort die Patienten mit beidem – mit Skalpell und Worten – behandelt würden, so daß sie lebten und haßten, liebten und fürchteten – und wieder gehen lernten.
Weil er eine erfolgreiche Praxis und eine stadtbekannte Ehe aufgegeben hatte, um sich ganz dieser Klinik zu widmen; weil er nicht einmal gegen die Anschuldigungen gekämpft hatte, die in den Medizinerkreisen seiner Heimatstadt gegen ihn erhoben wurden; weil er sich geweigert hatte, Artikel über seine Arbeitsmethoden in der Klatschpresse veröffentlichen zu lassen; weil einige Jahre zuvor ein bebilderter Report in einer der auflagenstärksten Illustrierten erschienen war (von einem Reporter, der sich als Gehirnpatient irgendwie in die Klinik eingeschmuggelt hatte); wegen all dem, in Verbindung mit einer Haltung der Öffentlichkeit gegenüber, die eine Beachtung der Konsequenzen völlig vermissen ließ, spottete die Medizinervereinigung über diesen Arzt und verleumdete seine Arbeitsmethoden, machten bei Kongressen hinter vor gehaltener Hand darauf aufmerksam, daß er ein Versa ger und Querulant sei. Und das geschah nicht ganz ohne einen scheelen Seitenblick auf das viele Geld, das er, wie es die Gerüchte wissen wollten, verdiente.
Nach einiger Zeit hörten die Illustrierten auf, Artikel über diesen Arzt zu bringen. Die Heilungschancen in der Klinik nahmen enorm zu, und als das geschehen war, fand der Arzt sich in einer neuen Position wieder; er wurde – in der Tat – so etwas wie ein Mythos.
Hunderte von Menschen lebten in den Städten Amerikas, die jetzt plötzlich für sich in Anspruch nahmen, von ihm »geheilt« worden zu sein – eine berühmte Schauspielerin sagte in einem Fernsehinterview, daß er vor drei Jahren Metastasen aus ihrem Kopf entfernt habe und es ihr damit möglich gemacht hatte, ihre Karriere beim Film fortzusetzen. Ein Senator brachte seinen sterbenden Sohn inkognito in die Schweiz, wurde aber dort auf dem Flughafen erkannt und somit davon abgehalten, die Klinik aufzusuchen; sein Sohn starb drei Tage später. Und so weiter.
Das war der Grund, weshalb der Arzt dann zu einem Beschwerdeobjekt anderer Ärzte wurde, deren Gefühl der Verzweiflung ab und zu ihre Intelligenz oder ihr Festhalten an den strikten Prinzipien der Medizinerkreise überwog. In gewissen Kreisen wurde er schließlich so bekannt, daß sein Name in Nachtlokalen in den Pointen dreckiger und verunglimpfender Witze auftauchte; was ihm bescheinigte, daß er sogar im Exil ein echter Amerikaner geworden war.
Weil sie sich auf diesem Niveau befand und in der Gesellschaft verkehrte, in der der Name dieses Arztes bekannt war (und den sogar die Freunde einiger Freunde aufgesucht hatten), dachte Archers Frau sofort an ihn, als man ihr die Diagnose über den Zustand ihres Gatten übergab. Sie rief ihn direkt in der Schweiz an – sie war halt so eine Frau – mit der vollen Absicht, ihm diesen Fall zu übergeben. Und – obwohl es dort erst sechs Uhr morgens war – gelang es ihr. Es
Weitere Kostenlose Bücher