Jagd in die Leere
sagte sie. »Ich bin schon zu weit gegangen, um jetzt noch aufgeben zu können. Ihre Religion kümmert mich nicht; was zählt, ist, daß Ihnen eine Menge Geld gegeben wird und Sie diesen Mann retten müssen.«
»Warum?« fragte der Arzt, und seine listigen, klugen, runden Augen blinzelten langsam und schienen in die Höhlen zurückzuweichen. Seine linke Hand strich wie zufällig über die Stelle, an der sein linkes Ohr sich hätte befinden müssen. Und er sagte: »Das Honorar wurde mir ohne Rücksicht auf die Resultate garantiert. Davon abgesehen: Was macht es für einen Unterschied? Was ist so Besonderes an diesem Mann? Sterblichkeit ist die einzige Konstante, wissen Sie; es ist sowieso alles relativ. In hundert Jahren wird es nur eine etwas niedrigere Zahl auf einem Grabstein sein, nichts Erschreckendes. Sie müssen einige Perspektiven kultivieren. Keiner kann mit hoffnungslosen Fällen arbeiten, wenn er es nicht von Anfang an getan hat.«
»Er ist mein Mann«, sagte sie. »Und er verdient auf andere Art und Weise zu sterben. Ein Mann sollte so sterben, wie er gelebt hat. So hat er nie gelebt.«
Der Arzt zuckte die Schultern. »Sie haben recht«, sagte er. »Aber es ist völlig hoffnungslos. Der Fall ist zu weit fortgeschritten. Zwei Monate, oder selbst zwei Wochen früher hätte noch etwas getan werden können. Aber die Sache blieb sich zulange selbst überlassen. Wahrscheinlich dachte er nur, er würde verrückt – aber was jetzt zuschlägt, ist der Teufel mit der gesamten Hölle.«
»Vor zwei Monaten wußten wir noch nichts davon. Wir konnten es möglicherweise nicht einmal ahnen. Was werden Sie unternehmen?«
Der Arzt schürzte die Lippen und pfiff einige Zeit gedankenverloren vor sich hin. »Ich könnte ihn natürlich mitnehmen, aber das hätte wenig Sinn. Ich könnte in einem solchen Fall sowieso nur die Funktion eines gewöhnlichen Krankenpflegers übernehmen; als Aufseher fungieren. Und das würde die anderen Patienten bedrücken. Ich habe im Augenblick neunzehn davon, und sie wissen, daß ich den Ruf habe, niemals absolut hoffnungslose Fälle anzunehmen. Es würde den Geist meiner Klinik töten.«
»Dann tun Sie hier etwas.«
»Warum nicht?« fragte Perkins, der die ganze Zeit über auf dem Bett gesessen und auf Archers wächserne Füße geklopft hatte, die den Farbschimmer von Pla stikfrüchten aufwiesen. »Welchen Unterschied macht es, wenn Sie es versuchen?«
»Der Unterschied ist, daß es hoffnungslos ist. Einfach und vollkommen hoffnungslos.«
»Dann waren all die Gerüchte wahr, die ich gehört habe«, sagte Perkins provozierend. »In Wirklichkeit sind Sie gar nicht in der Lage zu operieren. Ihre Patienten sind ein Haufen alter Weiber mit Kopfschmerzen, Exzentriker mit Nierensteinen und Wirtschaftsbosse mit Gicht. Sie nehmen ihnen die Sorgen mittels des Scheckbuches aus dem Kopf.«
»Das ist nicht wahr!«
»Es ist doch so«, sagte Perkins kalt.
»Sie wissen sehr wohl, daß die Staatliche Ärztekammer meine Vorbildung und meine Zeugnisse genauestens überprüft hat, nur weil ich zufälligerweise in diesem Zimmer sitze, engagiert in etwas, das man berufsmäßige Konsultation nennen könnte. Nun, viel leicht haben Sie einen Anlaß für Ihre Worte nach all dem. Es ist nun mal so, daß ich bei Staatskommissionen nicht gut angeschrieben bin, verstehen Sie?«
Der Arzt faßte wieder nach seinem nichtexistenten Ohr. Ein leichtes Zittern war in seinem Arm. Della ließ ihn nachdenken und sagte dann: »Bitte. Bitte, Doktor. Ich weiß, daß es etwas gibt, das man tun kann. Irgend etwas. Tun Sie es nicht für ihn oder für mich.
Tun Sie es für sich selbst.«
Della war eine leidenschaftliche Frau, Perkins ein berechnender Mann. Beide konnten leicht überzeugen als sie jünger waren, und sogar jetzt existierte noch der Widerhall der Kraft. Vielleicht hatte der Arzt dies von Anfang an erkannt und sein Unbehagen lediglich vorgetäuscht, vielleicht gab er auch nur nach. Das spielt keine Rolle; es spielt keine größere Rolle als der Name des Arztes – den anzugeben ich mich weigere – oder die Einzelheiten der Beschäftigung, der Archer nachgegangen war, und die mit viel Wohlwollen als frag würdig bezeichnet werden konnte. Weder kommt Della s beiläufig fortgesetzter Ehebruch mit Perkins zur Sprache, noch spielt Perkins’ Mut (er nahm von sich bis zum Ende an, er sei »mutig«) eine Rolle. Das einzig Relevante – wirklich – war das, was der Arzt anschließend sagte, indem er eine Zigarette aus
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