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Jagd in die Leere

Jagd in die Leere

Titel: Jagd in die Leere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K.M. O'Donnell
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Reihe nach Fragen. Es ging etwa so los: Wie heißt deine Mutter? Oder: Wie geht es dir heute? Und Es antwortete, was es wollte. Dann fragte der nächste im Kreis: Warum? Wenn Es geantwortet hatte, dann fragte der nächste Warum? Es versuchte wieder zu antworten, und in dieser Art ging es weiter, neun oder zehn Warums lang, bis Es entweder zu lachen oder zu weinen begann – was ganz egal war –, und die Herumsitzenden in schallendes Geläch ter ausbrachen. Der Witz war, daß niemand das Warum je endgültig beantworten konnte. Die Antworten wurden immer absurder. Es konnte nur dadurch Punkte sammeln, indem es solange Antworten gab, wie es welche hatte, aber selbst die besten Spieler mußten früher oder später aufgeben.
    Der Dichter rief sich ins Gedächtnis zurück, daß er unter den besten Es gewesen war, weil es gewöhnlich vierzehn oder fünfzehn Fragen bedurft hatte, um ihn zu erledigen. Er hatte es mittlerweile gelernt, hierbei die schlagfertigsten Antworten zu geben. Aber manche dieser Es hatten das Spiel wirklich sehr tragisch genommen. Für jemanden, der sich nicht unter Kontrolle hatte, war es halt nicht das Wahre.
    Wenn er sich recht erinnerte, ging das Spiel etwa so.
    F. Wie heißt du?
    A. Das weißt du.
    F. Warum?
    A. Weil ihr mich alle kennt.
    F. Warum?
    A. Weil wir Freunde sind.
    F. Warum?
    A. Weil wir uns lange kennen.
    F. Warum?
    A. Weil wir es halt waren.
    F. Warum?
    A. Weil –
    F. Warum?
    A. Weil.
    F. Warum?
    A.
    F. Warum?
    A.
    F. Warum, warum, warum?
    Besonders gut war dieses Spiel mit den Kindern, die neu hinzugezogen waren, weil man ihnen nie die Regeln erklärte. Sie erfuhren nur, daß das Spiel Fragen hieß und sie die Ehre hätten, Es zu sein. Aber früher oder später gibt es in jeder Nachbarschaft keine neuen Kinder mehr. So hatten sie untereinander weitergespielt; irgendwie, ganz egal, wie vertraut es ihnen war, waren Variationen nie so lustig wie das Original, aber doch verlor das Spiel nie seine Boshaftigkeit, seine Verwirrung und seinen eigentümlichen Schrecken für den Befragten. Es war schon lustig – wirklich wahnsinnig lustig – wie einem ab und zu Dinge einfielen, von denen man angenommen hatte, sie wären längst vergessen. Aber das paßte sicherlich hier hinein; sie spielten Fragen mit ihm, und er war Es.
     
    Sobald er die Sache so sah, gab es natürlich keinen Grund, warum es ihm überhaupt unangenehm sein sollte. »Zum Teufel mit dir!« schrie er der Stimme zu, fühlend, wie der Sand in seinen Mund flog und dort einen Geschmack wie Holzkohle hinterließ. »Ich weiß, was du machst. Du kannst mich nicht für dumm verkaufen! Ich bin kein Es !«
    »Warum?« sagte die Stimme. »Warum bist du das nicht? Was denkst du denn, was du bist? Was denkst du wohl, was das hier ist?«
    »Ist mir egal! Verstehst du das? Ich kümmere mich nicht mehr darum!«
    »Warum?«
    »Weil es keine Rolle spielt; es spielt überhaupt kei ne Rolle, nichts ist mehr wie es war, nur …«
    »Nur was?«
    »Es hat keinen Sinn!«
    »Nichts hat Sinn, Es «, sagte die Stimme kalt, und plötzlich kam sie nicht mehr länger aus dem Himmel oder gar aus der Richtung seines Ellenbogens, sondern war in ihm, lief schnell über seinen Arm bis hoch zum Ohrläppchen, drang dann in das Trommelfell ein und bestürmte ihn nun irgendwo von innen.
    »Der einzige Sinn ist der, den du dir selbst ausdenkst. Weißt du das nicht? Kannst du dich wenigstens daran festhalten?«
    Der Dichter hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend; ja, jetzt hatten sie ihn am Kragen, und Schmerzen durchzuckten seinen Körper, und die Sonnen gingen jetzt auf, heiß und gleißend, und er mußte noch immer daran festhalten, an dem einen Ding, das alles in der Balance hielt, ihn geistig gesund hielt: Die Tatsache, daß es keine Rolle spielte. Aber gerade in dem Augenblick, in dem er versuchte die Worte zu sagen, sie den Sonnen entgegenbrüllen wollte, fühlte er die Stimme in seinem Innern wie eine Schraubzwinge, und er wußte, daß er sie nicht sagen würde; er wußte, daß in ihnen nicht mehr Sinn war als in irgend etwas anderem. O ja, das war es; wenn man nirgendwo war und nichts eine Rolle spielte, dann war sogar ein Einverständnis nutzlos, und man mußte wieder von vorn anfangen. Man mußte wieder am Anfang beginnen, weil es niemals ein Nichts gab. Oh, da lag der Hase im Pfeffer; man mußte zu den Ursprüngen zurückkehren.
    »Nun verstehst du es«, sagte die Stimme.
    Er verstand es; er verstand alles. Er vermutete in diesem Augenblick, daß

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