Jagd in die Leere
neunundneunzig Prozent der Menschen auf der Stelle getötet und die verbliebenen dreißig Millionen eingesperrt. Diese waren gelegentlich bei besonders teuflischen Vorhaben dahingeschlachtet worden. Gegenwärtig war Della einer der vier oder fünf am Leben gebliebenen Menschen. Sie hatte erfahren, daß der Rest hatte getötet werden müssen. Sie konnte das zwar nicht verstehen, aber der Fragensteller war nicht gewillt, ihr das näher zu erklären. Was auch immer mit dem Mann los war, den zu finden man von ihr verlang te, er schien ganz schön wichtig zu sein, soviel konnte sie jetzt schon sehen. Es schien sonderbar, daß eine Rasse wie die der X’Ching, mit all ihrer Boshaftigkeit und Fähigkeit, Milliarden abzuschlachten, ohne auch nur einmal mit der Wimper zu zucken, jemanden wie sie brauchten, um eines einzigen Mannes habhaft zu werden. Aber es stellte sich nach und nach heraus, daß dies ein Thema war, das den Fragensteller aus der Fassung bringen konnte.
Dieser eine Mann, den sie suchen sollte, konnte anscheinend nicht von den X’Ching gefunden werden. Es war etwas an ihm, das nur ein Mensch erreichen konn te. Soweit und nicht weiter konnte sie theoretisch voran kommen, obwohl es alles bestätigte, was sie von Anfang an vermutet hatte; von dem Augenblick an, in dem man sie aus ihrem Vorgarten weggeschnappt und an diesen Ort gebracht hatte. Sie nahm an, daß es letzten Endes auch James erwischt haben mußte, wenn er nicht unwahrscheinliches Glück gehabt hatte.
Ein Verlust.
Andererseits – Della sah sich gern als scharfsinnige Frau – gab es keinen Grund, anzunehmen, daß man ihr nicht genau das erzählt hatte, was sie hatte hören wollen, um sie zufrieden und funktionsfähig zu halten. Sie waren eine schlaue Rasse und der Fragensteller ein kluges Exemplar, wenn man in Betracht zog, auf welche Art und Weise man sie bisher behandelt hatte.
Sie würde also in der Gegend von New York nach diesem Mann suchen, und der Verfolger würde ebenfalls zur Stelle sein, irgendwo hinter ihr. Da es sinnlos sein würde, nur sie, den Verfolger und die Zielperson auf einer Fläche von achthundert Quadratkilometern agieren zu lassen, würden die X’Ching ihre speziellen Kräfte einsetzen, um eine Entnahme von Stichproben aus der Bevölkerung – so drückten sie sich aus, »eine Entnahme von Stichproben aus der Bevölkerung« – überall an verschiedenen Stellen der Stadt auszusetzen, um die Orte, an denen sie den Mann suchen sollte, mit Personal zu versehen und um in ihr das Gefühl zu erwecken, daß die Menschheit weiterbestehe. Der Fragensteller machte nie klar, ob diese Leute Halluzinationen sein würden (sie glaubte, daß sie es sein mußten, wo doch alle tot waren), aber das war eine Frage, der sie ohnehin nicht weiter nachgehen wollte. Sie war es nicht wert. Es gab so wenig Sinn, was es wert war, nun, da sie sich endlich selbst zu der Einsicht durchgerungen hatte, die man ihr hatte zu eigen machen wollen. Der Fragensteller besuchte sie weiterhin jeden Morgen in diesem neuen, freundschaftlichen Rahmen – erzählte ihr immer wieder, daß sie einen Mann finden, ihn befreien und das eine oder andere mit ihm tun mußte – und dann eines Tages, als sie gerade zu der Überzeugung gelangt war, daß sie nur ein weiteres Mal zum Narren gehalten wurde und daß es wirklich bis in alle Ewigkeit so weitergehen würde, holten der Fragensteller und ein paar schwer zu beschreibende Assistenten sie aus der Zelle und führten sie den langen, langen Gang hinunter, zu einem Zimmer, das ganz am Ende des Korridors lag und in dem ein riesiger und majestätischer X’Ching auf einem Thron saß.
Im Gang roch es nach Knochen und Bauschutt; sie bildete sich ein, sie könne verwesende Körper riechen. Plötzlich bemerkte sie, daß sie torkelte. Sie bat den Fragensteller keuchend, sie zu stützen. Er hielt sie sanft, in entgegenkommender Weise, mit dem mitfühlenden Griff eines Freundes.
Der X’Ching auf dem Thron sah genauso aus wie der Fragensteller, nur daß er etwas größer war und andere Farbflecke im Gesicht aufwies. Er begrüßte sie mit »Hallo« und beorderte die beiden anderen hinaus, ließ sie die Türe schließen und machte eine drehende Bewegung mit dem Tentakel.
»Du siehst ganz gut aus«, sagte er. »Hab keine Angst. Leg dich auf den Bauch, streck dich aus und entspanne dich.«
»Danke schön«, sagte sie, sich niederkauernd.
»Leg dich flach hin.«
»So?«
»Genau. Wie fühlst du dich?«
»Sehr gut,
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