Jagdhaus in Der Eifel
annahm, sie habe sich einem anderen Machtsystem in die Arme geworfen. Das Urteil über sie war bereits gefällt. Kein »in dubio pro reo« oder »audiatur et altera pars«. Zweifel gab es nicht mehr, und welch anderer Teil sollte schon noch gehört werden? Die Realitäten waren der Meinung angepaßt. Das DDR-Fernsehen hatte allerdings keinen Beitrag zur Aufklärung geleistet.
Im Europaministerium ordneten sich die Strukturen neu. Sir Henrik hatte seinen Platz geräumt. Die Nachbesetzung der Stelle würde sicherlich noch Wochen in Anspruch nehmen. Der Minister mußte erst seiner Fraktion den Eindruck vermitteln, eine derart wichtige Personalentscheidung nicht ohne die Gremien der Partei treffen zu wollen. Seinen eigenen Kandidaten so durchzubringen, daß Parteipräsidium und Fraktion überzeugt waren, es sei ihr Mann, brauchte eine gewisse Zeit. Die Beschlußfassung im Kabinett war dann kein Problem.
Anders verhielt es sich mit der Nachbesetzung der Unterabteilung »Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft«. Ministerialdirigent Hans Semper war mit Ablauf des Monats in den Ruhestand getreten. Sein Nachfolger hatte sich profiliert und war dem Minister nach vielen sondierenden Vorgesprächen im förmlichen Verfahren vorgeschlagen worden. Auch die persönliche Referentin, die stets gut informierte Hedwig Bessener, hatte jede Gelegenheit genutzt, Dr. Robert Nattinger herauszustellen.
Dieser Beamte paßte in das Bild der Zeit. Sachkundig, zielstrebig, promoviert, ministerielle Erfahrungen in nationalen und internationalen Gremien, durch die leider kinderlose Ehe mit einer reichen Industriellen-Tochter auf einem materiellen Niveau, das den gesellschaftlichen Umgang mit der Führungsspitze des Staates und den ausländischen Missionen als selbstverständlich erscheinen lassen mußte.
Die feinen Andeutungen über gelegentliche amouröse Abenteuer, die jedoch nie über das in diesen Kreisen vertretbar Gehaltene hinausgingen, ließen auf eine in jeder Hinsicht interessante Persönlichkeit schließen.
Die Einweisung in die Leitung der Unterabteilung war durch Hausverfügung bekannt gemacht. Die Ernennungsurkunde zum Ministerialdirigenten hatte der Minister in Anwesenheit des Staatssekretärs bei einem Glas Champagner – Sekt war weniger hochrangigen Beförderungen vorbehalten – mit Worten besonderer Anerkennung ausgehändigt.
Dr. Robert Nattinger hatte sein Ziel erreicht. Damit wußte er sich eins mit seiner Frau Anne Rose. Dieser Karriereschritt war sein Geschenk an sie.
Heute konnte er sich mit dem Dienstwagen nach Hause fahren lassen. Dabei wurde ihm allerdings schmerzlich bewußt, daß erst mit dem weiteren Sprung zum Abteilungsleiter und Ministerialdirektor die ständige Verfügbarkeit über einen Dienst-Mercedes verbunden war. Leider war dieses Vorrecht vor einigen Jahren für Unterabteilungsleiter abgeschafft worden. Doch für den heutigen Anlaß galt eine Ausnahmeregelung. Im übrigen hatte er sofort vertretungsweise die Abteilung zu leiten, da Ministerialdirektor Aston nicht mehr im Amt war und sich der dienstälteste Leiter der anderen Unterabteilung mit einer Bronchitis krank melden mußte. Der Wagen stand somit zu seiner Verfügung.
Dr. Nattinger hatte zu Hause angerufen. Anne Rose erwartete ihn an der Tür. Sie hatte die Last der Vorbereitungen für die Hausparty zu tragen, mit der morgen seine Beförderung im großen Kreis gefeiert werden sollte. Daher wunderte sich Dr. Nattinger nicht, daß sie bei aller Freude über seinen Triumph recht angespannt wirkte. Dazu trug wohl noch der Autounfall im vergangenen Monat bei, der Gott sei Dank nur mit einem Sachschaden – ohne Einschaltung der Polizei – glimpflich abgelaufen war. Aber das war schon häufiger passiert und durfte bei ihr eigentlich nicht so ernst genommen werden.
»Meine Rose«, begrüßte er sie mit einem Kuß, »dieser Hauch von Champagner wird uns in Zukunft bei jedem Empfang an den heutigen Tag erinnern. Der Minister hat mich gebeten, dir seinen Gruß und seine Empfehlung zu übermitteln. Morgen kann er aus Termingründen an unserer Feier leider nicht teilnehmen. Aber er wird später gern zu einem privaten Essen kommen, zu dem ich ihn für eine passende Gelegenheit auch in deinem Namen eingeladen habe.«
»Heute ist dein Tag«, sagte Anne Rose, »morgen der unsere.«
Kapitel 10
Das »Haus am Rhein« war bereit für seine Gäste. Anne Rose hatte es vom Vater als Hochzeitsgeschenk erhalten. Es war ihr Elternhaus, in dem
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