Jagdhaus in Der Eifel
sie eine Jugend erlebt hatte, die keine materielle Not kannte, aber durch Rücksichtnahme auf Konventionen geprägt war. Das Statusdenken war gewiß ein wenig Hochmut, aber auch eine Schutzreaktion zur Mehrung des Wohlstandes. Die Eheschließung mit einem klugen, aber besitzlosen Juristen hatte der Vater mit kritischer Aufmerksamkeit verfolgt. Ihm war die akademische Welt verschlossen geblieben, aber er hatte seinen Weg durch Tüchtigkeit gemacht.
Der Sohn war examinierter Betriebswirt und leitete die Fabrik in Rheinbach. Tochter Anne Rose durfte in Bonn und Madrid ein wenig Sprachen studieren. Damit war ihr Weg in die Arme des jungen Dr. Nattinger vorgezeichnet. Seinen akademischen Grad konnte er gut in die Empfindungswelt der Familie einbringen.
Robert Nattinger stand an der Balustrade der Steilmauer am Rhein. Er war glücklich und stolz, daß nun sein Anteil in diesem geschlossenen Kreis der Wertvorstellungen einiges Gewicht erlangte.
Sein Blick glitt hinüber zum Petersberg, weiter nach Süden zum belebten Ufer von Königswinter und zum Wahrzeichen des Siebengebirges, dem Drachenfels, den die Kinder immer noch auf den Rücken von Eseln erklimmen konnten – die Kinder anderer!
Das Hotel auf dem Petersberg hatte der Bund erworben, aber jetzt fehlte das Geld für die nötige Renovierung.
Nach Norden, hinter der Bahnlinie, zeigte sich ein Fabrikgelände weniger ansehnlich. Doch die dort gepflanzten Pappeln, die malerischen Häuschen im Weinort Dollendorf und die dicht bewaldeten Höhen der Hardt ließen den unschönen Eindruck zurücktreten. Am Südhang deutete die strenge Regelmäßigkeit der neu gesetzten Weinstöcke an, daß die mit großem öffentlichen Aufwand betriebene Weinbergsanierung bald schöne private Erträge bringen würde.
Ein parkähnlicher Garten mit gepflegtem Baumbestand umgab das »Haus am Rhein«, und ließ den Wohlstand erahnen, den frühere Generationen erarbeitet hatten. Im Zwinger tummelten sich zwei Jagdhunde. Für die beiden rehgrauen Langhaar-Weimaraner war der auf nahezu doppelte Größe ausgelegte halboffene Zwinger fast zu klein. Sie wirbelten die Fahnenruten, rieben Fänge und Nasen aneinander und warfen sich dann mit ihren schweren, aber elastischen Körpern gegen den Gitterdraht. Alles nur, um auf sich aufmerksam zu machen und ihre Zuneigung zu bekunden. Im offenen Überbau hingen Suchleinen und gewichtige Apportierhölzer neben langen und kurzen Laufleinen. Ein Apportel fehlte. Die Hunde würden es wohl bald im Garten aufstöbern. Vorerst mußten sie im Zwinger bleiben, weil Gäste kamen. Sorgfältig geordnet lagen in einem Regal Metallkamm und Bürste sowie Zeckenpuder.
Die Erziehung und Abrichtung der Tiere war fachmännisch erfolgt. Bei der Jagd war auf Pascha und Nero unbedingter Verlaß. Rasse und Stammbaum waren makellos.
Die Herrin Anne Rose war im Hause beschäftigt. Sie wies das Personal vom Partyservice in die räumlichen Gegebenheiten ein. Bald würden die ersten Gäste vorfahren, die Gäste ihrer Welt, und nur bedingt der Welt von Dr. Robert Nattinger.
Anne Rose war älter und härter geworden. In ihrer Ehe fehlte etwas. Sie zeigte ein Verhalten, das sich nicht deuten ließ und das seit einiger Zeit umgeschlagen war in einen Aktionismus, der ihrem Mann Angst machte. Für ihre Jagdleidenschaft hatte er noch Verständnis. Doch hier in Bad Godesberg hatte sie eine neue Welt von Intensität und Oberflächlichkeit zugleich gefunden, die Welt der Diplomaten mit ihren Empfängen, Vernissagen und Modeschauen, sowie den gesetzten Essen im engeren Kreis. Vor allem in den kleineren Botschaften waren Anne Rose und ihr Mann willkommene Gäste. Sie konnten Gegeneinladungen geben und eine deutsche Art zu leben repräsentieren, die manch ausländischer Diplomat, der die Sprache seines Gastlandes nur unvollkommen beherrschte, für typisch hielt. Wer von denen kannte auch schon die Vorstädte von Dortmund oder Bochum mit ihren Arbeitslosen und Brieftauben, wer kannte die immer noch armen Dörfer im Hunsrück oder im Bayerischen Wald! Auch Anne Rose kannte dieses andere Deutschland nicht.
Der Empfang war wie üblich auf achtzehn Uhr angesetzt. Wohl hundertzwanzig Gäste wurden erwartet.
Dr. Nattinger war in die Eingangshalle gegangen.
Fast auf die Minute genau fuhren die ersten Dienstwagen vor.
Gemeinsam mit dem Personalreferenten Dr. Dederichs stieg Ministerialdirigent außer Dienst Hans Semper aus.
»Teurer Freund, dank eurer Einladung hab’ ich es verwunden, Pensionär
Weitere Kostenlose Bücher