Jagdhaus in Der Eifel
Europaministerium verabschiedet. Die Beförderungsparty der Nattingers hatte ihm allerdings die Schau gestohlen.
Auch die Kaltstellung des Abteilungsleiters Aston bot Gesprächsstoff genug, so daß sich im Amt die Histörchen und Gerüchte über Amore und Waidwerk in der Eifel von der Realität lösten und anekdotischen Charakter erlangten. Wenige Tage hatten genügt, ihn zu isolieren. Durch das Verschwinden von Brigitte Fournier war eine zusätzliche Leere eingetreten. Der alte Kreis der Verschworenen war zerbrochen. Jeder mied den anderen. Für den »Hüttenkreis«, wie sich die Wissenden intern definierten, wäre es bequemer gewesen, wenn Brigitte nie, nie wieder aufgetaucht wäre oder wenn der Staatssicherheitsdienst sie als Überläuferin präsentiert hätte. Dann wäre sie unglaubwürdig gewesen. Jetzt war durch den Fund am Weißen Stein alles nur noch schwieriger geworden.
Hans Semper saß im Schaukelstuhl im Wohnzimmer seiner Eigentumswohnung in einem modernisierten Altbau an der Poppelsdorfer Allee. Vom Radio erklang leise Musik. Er nahm sie kaum wahr. Episoden seines Lebens liefen wie ein unpräzise geschnittener Film vor seinem inneren Auge ab. Erfolge im Beruf? – Ja, da war die Bilanz positiv. Gesundheit? – Nun gut, wer sie hatte, machte daraus keinen besonderen Plusposten. Frauen? – Noch vor ein paar Wochen hätte er darüber eine Gewinnrechnung erstellt. Jetzt schien es mehr Qual als Erbauung, mehr Last als Lust. Wenn sie ihn gekannt hätte, würde Alice Schwarzer seine Seele für ein männlich-chauvinistisches Sumpfloch gehalten haben.
Zwei Ehen waren standesamtlich registriert und gescheitert. Die letzte Ehefrau war clever genug gewesen, das neue Scheidungsrecht so auszuschöpfen, daß sie das gediegene alte Haus an der Schloßstraße und noch einen dicken Versorgungsanspruch eingeheimst hatte. Mit viel Mühe hatte er sich gerade noch die Eigentumswohnung ermöglichen können. Das war auch das mindeste, was man in Bonn von einem höheren Beamten erwartete.
Sicher, er hatte auch noch die Jagdhütte in der Eifel, aber die hatte ihren geheimen Sinn und ihre Atmosphäre eingebüßt. Welche Sekretärin könnte es noch reizen, dorthin eingeladen zu werden?
Die Zeiten waren endgültig vorbei. Hans Semper mußte sich eingestehen, daß er vor dem Scherbenhaufen seines Lebens stand.
Diese Erkenntnis belastete ihn um so mehr, als er sich körperlich in ausgezeichneter Verfassung befand. Durch seine kräftige, mittelgroße Erscheinung, die sonnengebräunte Haut und das volle, leicht ergraute Haar wirkte er gut zehn Jahre jünger – und so fühlte er sich auch. Drei- bis viermal die Woche schwamm er morgens zwischen sieben und acht Uhr im Frankenbad oder im Viktoriabad. Manchmal auch in Beuel, wenn er dadurch den Warmbadetagen entgehen konnte, von denen Rentner und einsame Frauen ins Wasser gezogen wurden wie die Bienen zum Honig. Streifzüge durch die Eifel ermüdeten ihn nicht, sondern regten den Kreislauf an und ließen die Gedanken an Frauen schmerzhaft bewußt werden.
Konnte es noch eine Fortsetzung geben, oder wollte er wirklich die Zelte hier abbrechen, um am Bodensee seinen Träumen und Wünschen nachzugehen?
Das Läuten des Telefons schreckte ihn auf. Noch ein oder zwei Bewegungen im Schaukelstuhl, dann erhob er sich, ging hinüber zur Sitzgruppe, wo der Apparat auf einem Beistelltisch zwischen der Couch und dem Schreibtisch stand. Seine Gedanken hatten sich noch nicht vom Thema gelöst und so meldete er sich kurz: »Wer spricht?«
»Hans? Was ist los mit dir? Ich bin’s, Hedi.«
Jetzt war er hellwach. »Du rufst an? Wie schön. Hast du jemanden gefunden, der mit in die Hütte will? Kommt eine von den beiden?«
»Nein, lassen wir das jetzt. Mir steht der Sinn nicht danach. Ich glaube, es gibt neue Probleme.«
»Was heißt das? Erwachsene dürfen ihre Freiheit genießen, und wir haben keine Kinder verführt.«
»Hans, vergiß das jetzt bitte einmal alles und hör mir zu. Zwei Kriminalbeamte haben Erkundigungen eingezogen. Sie waren bei mir im Büro. Das lief schon auf ein Verhör hinaus.«
»Na und? Unser Sexualleben bestimmen wir und nicht die Polizei.«
»Bitte, versteh doch endlich. Die meinen nicht das. Die bohren wegen des Verschwindens von Brigitte. Und ich weiß nicht warum, aber die kommen immer wieder auf unseren Treff am Donnerstag vordrei Wochen zurück. Sie wollten auch wissen, wann und wo Sir Henrik seinen Urlaub angetreten hat. Mir kommt das alles ziemlich spanisch
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