Jagdhaus in Der Eifel
spät aus Rußland heimgekehrt war, hatten die lieben Eltern, aus Freude, daß es wieder aufwärtsging, den Sohn gezeugt. Der wuchs als eine Art Trümmerkind in der Mutter, zusammen mit den Mauern der »Einhorn-Apotheke«, deren Wiedereröffnung gleichzeitig mit seinem Geburtstag gefeiert werden konnte. So lange er denken konnte, war er der »kleine Pillendreher«, für den Mama und Papa sich angestrengt hatten, weil er alles erben sollte. Als der Umsatz wuchs und die Mark wieder hart geworden war, mochten die Eltern nicht zurückstehen. Darum wurde noch ein Brüderchen beigesteuert, das Lehrer werden sollte, jedoch lieber Suppositorien pressen mochte.
Er aber, Walter Freiberg, wollte alles andere werden, nur kein Pillendreher. In ihm mußte sich eine Freudsche Ahnung festgesetzt haben. Pillermann und Pillendrehen hatten sich im Unterbewußtsein existenzbedrohend verkoppelt. Schließlich kam es nach bösen interfamiliären Spannungen zur Vertauschung der Lebenslinien der Geschwister. Der Bruder führte jetzt eine Apotheke, mit deren Umsatz er sogar beim Finanzamt Eindruck machte. Die Eltern waren früh verstorben. Walter verdrängte den Wunsch Förster zu werden, machte ein ordentliches Examen für das Lehramt an Gymnasien und wurde, von der Wehrpflicht eingeholt, Leutnant beim Bund. Die Lehrer mehrten sich, die Kinder wurden weniger. So blieb zu entscheiden: Studienreferendar und dann arbeitslos – oder Berufssoldat. Er wählte den dritten Weg und ging zur Polizei. Man steckte ihn in eine neue Uniform, verordnete ihm eine neue Grundausbildung, erprobte seine Gehfähigkeit auf dem Großstadtpflaster im Ruhrgebiet und wunderte sich, daß alle Prüfungsergebnisse weit über dem Durchschnitt lagen. Er wunderte sich auch. Wegen seines Kopfes bei eher schmächtiger Figur wurde er als Zivilist getarnt und sollte in Bonn helfen, das eigene Nest sauber zu halten.
Dabei hatte er einmal geträumt, Förster zu werden und mit scharfem Blick dem Bussard zu folgen. Jetzt hörte er ihren miauenden Ruf über den Eifelhöhen und sah sie im schmalen Streifen des Himmels über dem Rund einer Lichtung ihre Kreise ziehen. Sah sie herabstürzen und einen jungen Hasen als Beute schlagen. Sein Todesschrei machte dem Kindertraum ein Ende.
Kurz nachdem einer der alten Waldwege den Forstweg gekreuzt hatte, sagte Lupus Müller: »Die Hütte lebt. Da steht ein Wagen.«
Ein Gebäude am Rande der Lichtung gewann Gestalt. Das war kein einfacher Holzschober, sondern in der Tat fast ein richtiges Jagdhaus mit Natursteinsockel und solidem Überbau aus schweren geschlichteten Hölzern. Die Fensterläden waren geschlossen. Gute Zimmermannsarbeit, dachte Freiberg. Oberleitungen für elektrischen Strom oder Telefon waren nicht zu erkennen, nur ein Verbindungskabel führte zu einem etwas abseits stehenden Schuppen, in dem das Aggregat für die Stromerzeugung zu vermuten war.
Der Vorplatz maß wohl zehn mal dreißig Meter und bot Abstellmöglichkeiten für mehrere Fahrzeuge. Wie für eine schnelle Abfahrt bereitgestellt, parkte diagonal vor dem Haus ein BMW 525 metallic.
»Bleiben wir im Busch, oder haben wir uns als Pilzsammler im Walde verlaufen?« fragte Lupus.
»Nichts von beidem. Wir halten unser Visier offen und sagen nicht mehr, als nötig ist. Der Wald ist frei für jedermann.«
Weiterer Überlegungen bedurfte es nicht, denn die Tür der Hütte öffnete sich und heraus trat ein Mann mit Wanderschuhen, Kniebundhose und offenem Parka, der ein Gewehr übergehängt hatte. Als er die Tür schließen wollte, nahm er die beiden »Wanderer« wahr, die die Eingangspforte erreicht hatten und sich anschickten, das Grundstück zu betreten. Mehr aus Gewohnheit als aus Vorsicht rückte der Mann den Gewehrriemen auf der Schulter zurecht. Nutzen konnte ihm die Bockbüchsflinte nichts, denn sie war noch nicht geladen. Das geschah stets außerhalb des Hauses.
Kommissar Freiberg hatte die Bewegung bemerkt. Mit seiner vollen Stimme rief er, ohne das Tor geöffnet zu haben: »Waidmannsheil, dürfen wir hereinkommen?« und fügte noch im Scherz hinzu: »In friedlicher Absicht.«
Der Mann brummte kurz: »Das will ich hoffen. Was gibt’s?«
»Herr Ministerialdirigent Semper?«
Der Mann deutete Zustimmung an.
»Wir hätten Sie gern gesprochen. Mein Name ist…«
»Was will die Kriminalpolizei bei mir? Sie sind doch der Mensch, der mit dem Kriminalrat bei Nattingers Party aufgekreuzt ist. Stimmt’s?«
Der Kommissar schob das Holztor weiter auf. »Ja, der
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