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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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Dann würde sich sein Lächeln in etwas anderes verwandeln, in etwas Böses, und sie sah ihn in ihrer Fantasie schon auf dem Absatz kehrtmachen, um ihrer Familie wehzutun. Und sie konnte nichts unternehmen, um ihn aufzuhalten.
    Sheridan hatte sehr schlecht geträumt, war davon aufgewacht und hatte lange nicht wieder einschlafen können. In einem Traum, dem schlimmsten, befand sich der Mann im Zimmer und saß auf einem Stuhl am Fuße ihres Bettes. Er redete mit ihr und sagte, er sei ihr Freund, doch auf seinem Schoß lag etwas Rundes, Großes, und es war in Papier eingewickelt. Aber als sie das Päckchen diesmal anschaute, war es nicht der Kopf eines Kätzchens - es sah aus wie Lucys Kopf. Und dann begann der Mann, es auszupacken.
    In einem anderen Traum stand sie wieder in der Scheune, und wieder presste der Mann sie gegen die Heuballen, atmete ihr ins Gesicht und redete. Er werde ihrer Mutter etwas antun, sagte er. Und auch dem ungeborenen Kind. Du willst doch eigentlich sowieso nicht mehr Geschwister, oder? Ich weiß Bescheid. Du wärst am liebsten das einzige Kind, sagte er. Sheridan fühlte sich schlecht, weil sie im Traum genickt hatte. Hoffentlich dachte sie nicht wirklich so. Um sich das zu beweisen, umarmte sie Lucy. Aber die wand sich los.
    Sheridan war wach geblieben, als Joe ihr Zimmer verlassen hatte. Sie hatte gelauscht, wie er Kaffee kochte
und durchs Haus schlurfte, um seine Sachen zu packen. Als er bei ihr gesessen hatte, war sie nahe dran gewesen, ihm von dem Mann und ihren geheimen Haustieren zu erzählen. Und wie nah! Aber Nachbilder ihrer Träume hatten sie im letzten Moment davon abgehalten. Nachdem ihr Vater aus dem Haus gegangen war, hatte sie an die unvertraute Zimmerdecke geschaut und einige Entscheidungen getroffen, die ihr gleich sehr richtig erschienen waren. Um sie am Morgen nicht zu vergessen, war sie aufgestanden und hatte sie mit Buntstift auf einen Zettel geschrieben. Er steckte jetzt zerknittert in ihrer Pyjamatasche.
    Erstens würde sie einen Weg finden, wieder in die Bighorn Road zu kommen, um sich zu vergewissern, dass die Tiere noch da waren. Sie würde sie nach Möglichkeit füttern. Sie betete, dass es ihnen gut ging.
    Zweitens würde sie ihrem Vater alles erzählen. Wie er ihr letzte Nacht den Kopf gestreichelt hatte - das gab ihr jetzt irgendwie das Gefühl, er sei der Einzige, der sie und ihre Familie überhaupt beschützen könnte.
    Jetzt, da sie wusste, was sie weiter unternehmen würde, fühlte sie sich etwas besser. Lucy lehnte sich an sie, und sie kuschelten unter der Decke. Lucy lachte über irgendetwas, das auf dem Bildschirm geschah. Sheridan ließ die Augen zufallen. Sie brannten. Das war zu viel für sie. Alles.
    Sie würde warten müssen, bis Dad nach Hause käme. Und dann würde sie reden. Es war höchste Zeit.

27
    Auf dem ersten Kilometer der Schlucht lief alles gut, auch als die dunkelgrauen Felsen ganz steil wurden und der Himmel zu einem Lichtstreifen zusammenschmolz, der sich genau über Pferd und Reiter hinzog. Auf den Felsen gab es indianische Zeichnungen - pfeilgespickte Wapitis; bemalte und mit Federn geschmückte Reiter; Krieger, die Skalps und ganze Köpfe ihrer Feinde in die Höhe hielten. In der Nähe der Felszeichnungen stieß Joe auf neuere und ausgesprochen dämliche Filzstiftschmierereien. »Ote Keeley bläst dem Herrgott einen«, hatte jemand gekritzelt. »Kyle ist ein Scheißefresser«, stand daneben. Und »Calvin hat’nen Mauseschwanz«. Na also, dachte Joe - die sind tatsächlich hier gewesen.
    Schließlich rückten die Felswände so nah zusammen, dass Joe abstieg und die Steigbügel über den Sattelknopf hängte, damit sie sich nicht im Gestein verfingen. Lizzie war unruhig. Sie hatte die Ohren fest an den Kopf gelegt, und ihre Augen waren vor Angst weit aufgerissen. Er hatte sie am Zügel, redete ihr gut zu weiterzugehen und führte die ganze Zeit mit Singsangstimme ein hirnverbranntes Selbstgespräch, um sie zu beruhigen, während die Wände immer näher kamen. Er trat im Bach von Stein zu Stein, um trockene Stiefel zu behalten. Lizzies Hufeisen klirrten, und manchmal glitten ihre Läufe auf den Steinen aus, so dass Joe sehr bald eine von hinten klatschnasse Hose bekam.
    Er bereute, das Pferd mitgenommen und nicht am Eingang angebunden zu haben. Er wäre besser allein gegangen. Die Schlucht war viel enger, als er erwartet hatte,
und Wurzeln, Äste, Laubwerk und obendrein die vielen dicken Spinnweben - all das verstärkte das Gefühl der

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