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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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bedankt, schmelze ich dahin. Bei Luisina, der Frau meines jüngeren Sohns, ist es etwas ganz anderes, beim Leibhaftigen!«
    »Ist sie Ihnen unsympathisch?«
    Der Baron sah prüfend um sich, nahm seinen Stuhl, setzte sich neben Don Filippo und begann leise zu sprechen. »Ich will Ihnen etwas im Vertrauen sagen, aber es kostet mich große Überwindung, und deshalb dürfen Sie mich dabei nicht ansehen. Neulich nachts habe ich von Luisina geträumt, sie lag neben mir im Bett, und wir hatten gerade getan, was eben ein Mannsbild und ein Weib so miteinander treiben. Habe ich mich klar ausgedrückt? Durch die Spalten der Fensterläden fiel gefiltert das Mondlicht, und ich versank in den Anblick ihres schneeweißen Leibs. Dies zum Thema Schwiegertöchter, der gnädige Herr.«
    Nach einer Pause sagte er: »Leider werden Sie die Erfahrung nie machen können, Herr Marchese; der Vater wird immer das Weib begehren, das sich der Sohn auserkoren hat.«
    Und da hatte der Marchese mit einemmal das Bild der schönen Ziege vor Augen, wie sie am Rand der Waldlichtung steht, mit dem langhaarigen, weißbraunen Fell, den großen, feuchten, vor Schreck geweiteten Augen, den nach Art des Einhorns gewundenen Hörnern und den wunderhübschen Zitzen von der Farbe hell gebackenen Brotteigs. Beim Anblick Carmelinas wurde dem Marchese blitzartig bewußt, wie sein Sohn beschaffen war. Und er begriff, was ihm durch seinen Verlust, wäre er erst einmal ins Mannesalter gekommen, entgangen war. Zum ersten Mal nach dem Unglück bahnte sich ein tiefer Schmerz seinen Weg und wollte ihn beinahe zerreißen.
     
    Am Abend bei Tisch, während Don Filippo und Ntontò aßen, was Peppinella und ihr Gatte Mimì, ein ehemaliger Straßenräuber und Lebenslänglicher, den der alte Marchese aus reiner Sympathie zu sich ins Haus genommen hatte, ihnen auftrugen, blickte der Vater unverwandt die Tochter an. Das Trauerschwarz stand ihr gut, fand er, sie sah aus wie eine Zuckerpuppe, rund und prall wie eine Knoblauchknolle, mit gebärfreudigem Becken, langem, blondem Haar, rosigen Wangen, himmelblauen Augen, leicht wahnsinnigem Blick.
    »Nach wem schlägt sie bloß?« fragte sich der Marchese, der ein rabenschwarzer Typ war, genau wie Donna Matilde. Rasch wischte er diese Frage beiseite, da er sich an das mysteriöse Lächeln seiner Frau erinnerte.
    »Hat die Mama gegessen?« erkundigte sich Ntontò bei Peppinella.
    »Wenig, aber eine Kleinigkeit hat sie heruntergekriegt«, gab die Dienerin zur Auskunft. Donna Matilde wollte um keinen Preis mehr ihr Schlafgemach verlassen.
    »Auch eine schöne Stimme hat sie«, dachte der Marchese bei sich. Und zu ihr gewandt, sagte er: »Warum willst du eigentlich nicht heiraten? Gute Partien wurden dir ja einige präsentiert!«
    »Ich will vorerst keine Familie gründen.«
    »Wann dann, meine Tochter? Denk daran, du bist fast fünfundzwanzig, und bei uns… «
    »Ach, jetzt besinnt Ihr Euch auf einmal, daß Ihr ein Familienvater seid?« schnitt Ntontò ihm das Wort ab. »Nachdem Euch das noch nie einen Deut gekümmert hat?«
    Der Marchese zeigte keine Regung, und schweigend aßen sie weiter.
    Nach einer Weile brach Ntontò das Schweigen, das schwer auf der Tafelrunde lastete, und sagte: »Schön ist sie, die Halskette, die Ihr der Mutter geschenkt habt. Aber warum habt Ihr fünf Bleistücke einsetzen lassen?«
    »Ich habe zu ihr gesagt, das seien die fünf Kugeln, mit denen Rico erschossen wurde.«
    »Aber Rico ist doch an einer Pilzvergiftung gestorben!«
    »Das weiß ich auch, aber ich habe sie in ihrem Wahngedanken belassen wollen und ihr deshalb ein Lügenmärchen erzählt.«
    »Und warum?«
    »Weil sie sich auf diese Weise beruhigen wird, du wirst schon sehen. Sie wird nachts nicht mehr herumschreien, und wir werden in Ruhe schlafen können.«
     
    In Wirklichkeit wurde es eine Schreckensnacht. Zwei Stunden schon lag der Marchese wie ein Toter quer überm Ehebett im Tiefschlaf, als etwas ihm die Wange streifte. Im Glauben, daß es sich um eine jener fliegenden Kakerlaken handelte, die in der warmen Jahreszeit in Sizilien in dichten Schwärmen unterwegs sind, schlug er sich heftig ins Gesicht – und ward hellwach. Don Filippo hob die Lider und erkannte beim schwachen Lichtschein eines Öllämpchens, das er stets in der Nacht brennen ließ, eine weiße Gestalt am Fußende des Betts. Der Marchese war ein ebenso leichtfertiger wie temperamentvoller Mann, in der Lage also, auf Gesten, die von außergewöhnlichem Mut zeugen, solche von

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