Jagdsaison. Roman.
immer aufgestellt. Ich bin dazu nicht fähig, und Mimì noch viel weniger.«
Don Filippo dachte an Ricos Krippenbauten zurück. Ja, da war alles drin, die Berge aus Wachs, die Palmen, das Bächlein, die Grotte, der Ochs und der Esel, aber alles unter einem dichten Teppich aus Pilzen verborgen. Selbst das Jesuskind war ein echter Pilz zwischen dem Pilz Joseph und dem Pilz Maria.
»Ist die Mama wach?«
Auf Ntontòs Nicken hin öffnete er die Zimmertür der Marchesa und machte sofort einen Schritt zurück wegen der Miefwolke, die ihm entgegenschlug.
»Du guter Gott, warum macht ihr nicht die Fenster auf?«
»Sie will das nicht.«
Er überwand seinen Ekel, trat ein und nahm vor seiner Gattin Platz.
Innerhalb von knapp drei Monaten war sie eine alte Frau geworden, ihre Haare waren schlohweiß. Im Raum war kaum etwas zu erkennen, die Flamme des Leuchters war ganz niedrig gestellt, und Donna Matilde kniff die Augen zusammen, um das Gesicht ihres Besuchers genauer zu sehen. Um ihr auf die Sprünge zu helfen, ging Don Filippo zur Kommode, stellte die Flamme größer und setzte sich wieder. Da erkannte ihn die Marchesa.
»Zu Hilf!« schrie sie. »Hilfe! Erbarmt euch und helft mir!«
Ntontò, Peppinella und Mimì eilten herbei, und es gab das übliche Tohuwabohu. Mit der Kraft der Verzweiflung war es der Marchesa gelungen, sich halb aufzurichten, an die Armlehnen ihres Sessels geklammert.
»Er ist es! Er, der auf mich schießen wollte! Er, der mit mir unanständige Sachen machen wollte!«
Im Hinausgehen drehte sich Don Filippo noch einmal um. Ihm schien – sicher war es eine optische Täuschung im flackernden Licht –, als ob seine Gattin lachte.
»Wir bringen die Mutter zu Bett«, sagte Ntontò, »und gehen dann in die Mitternachtsmesse – ich, Peppinella und Mimì.«
»Auch Mimì?«
»Ja.«
»Der hat noch viele Messen zu hören, bevor er alle seine Sünden abgebüßt hat.«
»Und was gedenkt Ihr zu tun, Papa? Geht Ihr in den Zirkel?«
»Ich weiß noch nicht.«
Lange blieb er an der verwaisten Tafel sitzen und nippte hin und wieder an seinem Wein. Als er sicher sein konnte, daß alle aus dem Haus waren, machte er sich auf den Weg zu Ricos Zimmer. Seit Jahren hatte er keinen Fuß mehr hinein gesetzt. Es kam ihm viel kleiner vor als in der Erinnerung. Er stellte den Leuchter auf dem Tisch ab und blickte um sich. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn, das er sich nicht erklären konnte, und je mehr er schaute, um so stärker wurde es. Mit einem Mal war ihm der Grund klar. Das Zimmer war das eines erwachsenen Mannes, das besagten die Größe des Betts, die Kleider, die Schuhe, das in der Ecke lehnende Gewehr, das Bonocore offensichtlich aus dem Wald geborgen hatte. Aber zugleich war es das eines Knaben, und dieser Eindruck rührte beispielsweise von den Zeichnungen her, die an die Wände gepinnt waren; sie waren neueren Datums und stellten mit kindlichem Strich »Papa«, »Mama« und »meine Schwester Ntontò« dar, wie die Bildunterschriften besagten. Er zog die Schublade des Schreibtischs auf und sah einen ganzen Stapel Blätter, auch sie mit Zeichnungen, alle mit demselben Thema: eine Ziege. Der Marchese nahm eine Zeichnung nach der anderen zur Hand und erkannte deutlich, mit welchem Eifer Rico Fortschritte gemacht hatte: Auf dem letzten Blatt war ein echtes Porträt von Carmelina zu sehen. Rico hatte es koloriert und mit Schattierungen versehen. Mit einer brüsken Handbewegung warf er die Blätter in die Luft und verließ den Raum.
»Was für ein beschissener Weihnachtsabend«, sagte er sich. »Ich geh jetzt in den Zirkel und verspiele einen Gutshof.«
Doch Müdigkeit überfiel ihn, und seine Schultern schmerzten, als hätte er eine schwere Last zu tragen gehabt. Vorsichtig öffnete er Donna Matildes Schlafzimmertür und blickte hinein. Nur ein Leuchter brannte, was ihn beruhigte, bei zuviel Licht würde sie ihn möglicherweise erkennen und wieder einen Aufstand machen.
Er ließ sich auf einem Sessel am Fußende des Betts nieder. Donna Matilde schlief mit offenem Mund, dem hin und wieder ein Stöhnen entwich. Behutsam streckte Don Filippo die Hand aus und legte sie auf die Wange seiner Frau, zog sie wieder zurück, hielt sie an die Nase und atmete ein. Nichts. Seine Hand roch nach ranzigem Schweiß. Der Marchese ließ seinen Blick noch eine Weile auf ihr ruhen und sagte dann: »Diese Nacht verbringe ich mit dir. Frohe Weihnachten, Matì.«
Als Ntontò von der Messe heimkehrte, wollte sie nach der
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