Jagdsaison. Roman.
Marchesa rührte sich jedoch nichts dergleichen, da konnte der Apotheker noch so viele Pülverchen in verschiedenen Farben ausprobieren – im Gegenteil, da Donna Matilde merkte, daß sich der Geschmack des Wassers änderte, beschloß sie, auch nicht mehr zu trinken, und betupfte sich nur hin und wieder die Lippen mit einem feuchten Taschentuch. An dieser Stelle mußte auch Fofò La Matina vor Ntontò, die sich schon die Augen ausgeweint hatte, resigniert die Arme ausbreiten.
Don Filippo saß mit Trisìna auf dem Schoß vor dem Zimmerkamin, auf den er stolz war, als hätte er den Königspalast von Caserta errichtet, und ließ sich wärmen. Es war früh am Abend, Maddalena war nach der gehörigen Dosis Betäubungsmittel schlafen gegangen, und keine bösen Überraschungen waren zu fürchten. Die Überraschung kam aber dennoch. Der Marchese hörte jemanden auf dem Vorplatz nach ihm rufen. Er nahm die Doppelflinte und öffnete vorsichtig Fenster und Holzläden.
»Ich bin’s, Exzellenz, Mimì.«
»Was gibt’s?«
»Ihr müßt mit in die Stadt kommen, ich bin mit dem Einspänner da. Die Frau Marchesa liegt im Sterben.«
Sie brachen auf, und Mimì verpaßte dem Pferd Hiebe, wie er nur konnte. »Ich hab Angst, wir sind zu spät dran.«
Als der Marchese das Gemach seiner Ehefrau betrat, traf ihn sofort der stechende Blick Padre Macalusos, der zusammen mit Ntontò und Peppinella, die am Fußende des Betts knieten, betete.
»Lebt sie noch?« fragte er.
Fofò La Matina, der am Fenster stand, nickte leicht.
»Geht bitte alle hinaus«, sagte der Marchese, »ich rufe euch dann wieder.«
Sie gehorchten. Der Regen prasselte heftig gegen die Scheiben, während Don Filippo einen Stuhl nahm und sich an der Leidensstätte niederließ. Er beugte sich etwas nach vorn und legte die Hand seiner Frau in die seinige. So verharrte er eine Weile. Plötzlich war ihm, als hätte das Dach ein Loch, und es regnete hinein. Er hob die Augen, aber die Zimmerdecke war unbeschädigt.
» Pazienza «, sagte er sich, »dann werden es wohl meine Tränen sein.«
Don Filippo hielt Fofò La Matina an der Tür auf, als dieser das Zimmer der Marchesa betreten wollte. »Wirst du hier gebraucht?«
Er nahm den Apotheker mit in das Zimmer mit dem Schreibtisch, ließ ihn auf dem Sofa Platz nehmen und bot ihm eine Zigarre an; doch Fofò winkte ab.
Don Filippo selbst zündete sich eine Pfeife an. »Macht es dir etwas aus, wenn ich dich duze? Ich kenne dich seit deinem zehnten Lebensjahr.«
»Ich fühle mich geehrt, Exzellenz.«
»Und ich will weder mit Exzellenz noch mit Marchese angesprochen werden. Nenn mich einfach Don Filippo.«
»Wie es Ihnen beliebt.«
»Verzeih, aber ich habe das Bedürfnis, mit jemandem zu reden.«
»Ich stehe zu Diensten.«
»Weißt du was? In gewisser Weise war ich derjenige, dem dein Vater sein Glück verdankte.«
»Ich bitte um Verzeihung«, ließ sich der damals knapp zwanzigjährige Filippo Peluso vernehmen und erhob sich langsam, unter Gestöhne und Verrenkungen und sämtlichen Anstrengungen, die notwendig waren, um seine hundertfünfzig Kilo Fleisch und Knochen hochzuhieven. »Ich nutze die Gelegenheit, solange Freund Uccello die Karten mischt und gibt. «
Sie spielten Briscola, die Jungen gegen die Alten. Die Jugend bestand aus Peluso und Uccello, die alten Herren waren Marchese Fiannaca und Don Gregorio Gulisano.
»Und jetzt sind wir bei vier, so eine Nerverei«, war der halblaute Kommentar Gulisanos, und dumpfe, unmäßige Wut überfiel seine knapp fünfundvierzig Kilo Körpergewicht, als er Filippos Aufstehmanöver beobachtete.
»Wieso, muß ich etwa Zoll entrichten?« fragte der Marchesino, der ein gutes Gehör hatte.
»Wofür?«
»Für meine Pissereien. Seit einer Stunde schon zählt Ihr mit.«
»Ich muß mich wirklich fragen, wie kann einer viermal in zwei Stunden auf den Abtritt gehen?« gab Gulisano ihm Kontra, grün im Gesicht.
»Lassen wir es gut sein, meine Herren, besinnen Sie sich bitte«, griff an dieser Stelle der junge Baron Uccello ein. »Wenn Sie jetzt anfangen herumzustreiten, dann werden wir dieses verdammte Spiel nie zu Ende bringen. Und ich muß Schlag Mitternacht zu Hause sein.«
»Ihr könnt Euch schon mal auf den Weg machen, dort ist die Tür.«
»Lassen Sie es gut sein, Marchese…«
»Einen Dreck lasse ich gut sein! Wenn’s so weitergeht, dämmert es bald. Der Herr Gulisano soll mir gefälligst erklären, weshalb es ihn derart stört, wenn ich Harndrang verspüre.
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