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Jagdsaison. Roman.

Jagdsaison. Roman.

Titel: Jagdsaison. Roman. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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jedoch kein besonderes Aufsehen, war sie doch gewissermaßen vorhersehbar.
    »Der Jäger ist gekommen«, war alles, was Baron Uccello verlauten ließ.
    Nenè war seit geraumer Zeit wegen seiner häufigen Besuche bei der »lieben Tante« Donna Matilde bekannt, die eine Weile die Mutterrolle bei ihm übernommen hatte, nachdem seine Eltern beim Umstürzen ihrer Karosse verunglückt waren. Die Besuche dauerten immer nur kurz, gerade so lange, wie das Postschiff brauchte, um anzulegen, auszuladen und die Anker wieder zu lichten. Doch jedesmal kehrte er gestärkt nach Palermo zurück.
    »Nenè ist gekommen, um aufzutanken«, tönten die Leute im Chor, sobald sie ihn an Land gehen sahen.
    »Was macht Ihr Neffe Nenè denn in Palermo, Marchesa?«
    »Er studiert Mathematik«, erwiderte Donna Matilde.
    Das stimmte. Verbissen studierte Nenè die Kombinationen des Roulettes, und dieses langwierige und anstrengende Studium kostete ihn einen Haufen Geld. Um seine Studien nicht wegen fehlender Fonds unterbrechen zu müssen, wurde Impiduglia von Zeit zu Zeit bei der Tante in Vigàta vorstellig, die großzügig die Löcher stopfte.
    Diesmal übernachtete Nenè nicht wie gewöhnlich im Palazzo. Nachdem er die Cousine von seiner Ankunft unterrichtet und sie gebeten hatte, ihn zu empfangen, mietete er sich in der Locanda ein. Am nächsten Morgen begab er sich, schwarz gekleidet von Kopf bis Fuß, auf den Friedhof und betete am Familiengrab der Pelusos. Eine geschlagene Stunde stand er dort, ohne sich zu rühren.
    »Er weinte und weinte«, erzählte später der Totengräber. »So viele Tränen vergoß er, daß ich ihm ein Taschentuch geben mußte, da sein Umhang pitschnaß war.«
    Nach dem Friedhofsbesuch ging er in die Kirche und drückte Padre Macaluso ein Bündel Geldscheine in die Hand, damit er das Seelenamt für die lieben Verstorbenen abhielte. »Vor allem für Donna Matilde«, legte er ihm ans Herz.
    »Er ist ein guter Mensch, da kann man nichts sagen«, kommentierte Baron Uccello, als ihm hinterbracht wurde, auf welche Weise Nenè Impiduglia den Vormittag zugebracht hatte. »Sicher veranstaltet er den ganzen Zirkus nur, um sich Ntontò zu schnappen.«
    Ntontò hatte den Vetter zum Mittagessen eingeladen, aber Impiduglia kam nicht. Statt dessen wurde eine Nachricht aus seiner Feder gebracht, die besagte, daß er von dem Besuch auf dem Friedhof zu sehr mitgenommen sei, um jetzt der Einladung Folge zu leisten. Ob man diese nicht auf den Abend verschieben könne?
    Als Impiduglia schließlich Ntontò sah, machte sein Herz einen Satz und blieb beinahe stehen, so wie das Rad einer Kutsche, das in ein Loch geraten ist.
    »Die Todesfälle tun ihr gut«, dachte er. »Sie sieht aus wie das blühende Leben.« Tränen traten ihm in die Augen. Sie umarmten sich, und mit einem Schlag erinnerte sich Ntontò an eine Szene vor vielen Jahren, als sie sich mit Nenè auf dem Speicher versteckt hatte, wo der kleine Cousin ihr ein neues Spiel beigebracht hatte: Doktor spielen, hieß es. Sie hatte sich dazu auf einem alten Sofa ausstrecken müssen, und er hatte ihr den Rock hochgehoben und sie lange am Bäuchlein und ringsum untersucht. Jetzt verspürte sie voller Scham die gleiche Hitzewallung wie damals.
    Schweigend saßen sie bei Tisch. Deutlich war zu sehen, daß Nenè innerlich erschüttert war, kein Wort brachte er heraus. Tatsächlich schaffte er es nicht einmal bis zum zweiten Gang. Mitten im Essen erhob er sich plötzlich, küßte der Base die Hand und stürzte davon.
    »Er ist einfach zu empfindsam«, sagte Ntontò, als sie Frau Colajanni und Frau Clelia, die bei ihr zu Besuch waren, von dem Vorfall beim Abendessen erzählte.
    »Er ist auch ein schöner Mann«, gab Frau Clelia zu bedenken, die ihn Tags zuvor kurz gesehen und seine Fähigkeiten mit geübtem Blick eingeschätzt hatte.
    »Aber kommt er denn nicht wieder?« fragte Frau Colajanni.
    »Doch, nächste Woche. Er mußte schnellstens nach Palermo zurück, weil er sein Mathematikstudium nicht länger unterbrechen durfte.«
    »Er muß einen großen Kopf haben«, meinte Frau Clelia, ohne sich näher auszulassen, welchen Kopf sie meinte.
     
    Genau eine Woche später tauchte Nenè erneut in Vigàta auf.
    »Sehen wir mal, was er nun wieder für einen Schwachsinn ausgeheckt hat«, meinte Baron Uccello.
    Ein wahres Meisterstück hatte er sich ausgedacht. Vom »Franceschiello« wurde eine große Kiste ausgeladen, die Nenè umgehend zur Mutterkirche schaffen ließ.
    »Als ich vor kurzem wegen der

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