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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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betrachtete sie ihn, dann entfernte sie sich, die Dokumentenmappe mit beiden Armen an ihre Brust gedrückt, um das Gesicht der Frau auf der Bahre zu studieren. Ein winziger Sprung zeigte sich in der Marmorfassade, kaum der Rede wert, aber dennoch machte sich Adrian Alt eine gedankliche Notiz. Selene wechselte ein paar Worte mit den Sanitätern, gab ihnen dann einen Wink, woraufhin die Bahre im Inneren des Wagens verschwand und die Türen geschlossen wurden. Selene drehte sich um und kam auf ihn zu. Kalte Luft schien als Wolke vor ihr herzuschweben. Ihn fröstelte.
    »Herr Alt, wir sollten uns beeilen. Die Frau schwebt zwischen Leben und Tod, sie …«
    »Sie lebt?«
    Ein winziges Tier in seiner Magengrube, nicht mehr als eine zierliche, kaum sichtbare Spinne, bewegte sich, feine Insektenbeinchen kitzelten seine Eingeweide. Sie lebte. Sie …
    »Ja, sie lebt, allerdings ist es schwer zu sagen, wie lange noch. Es ist eine sonderbare Verkettung von Umständen, das steht fest. Denn Frau Kenning ist für unsere Organisation … wie soll ich sagen? Keine Unbekannte! Ganz im Gegenteil. Deshalb muss ich sofort wegen dringender Geschäfte nach London zurück. Mein Wagen wird jeden Moment hier sein. Ich muss nicht wiederholen, wie viel mir an der Lösung dieses Falles gelegen ist. Darum ersuche ich Sie, unser Beweissubjekt ins Krankenhaus zu begleiten und gut darauf achtzugeben. Womöglich entwickeln sich aus dem Ganzen doch mehr als nur Indizien. Ich erwarte von Ihnen vollständige Aufzeichnungen aller Symptome und Anormalitäten, die die Kranke aufweist. Alles, ich
betone alles , was sie sagt, ist relevant. Ich hoffe, wir haben uns verstanden! Ich kontaktiere Sie, sobald ich kann.«
    Beweissubjekt.
    Eine schwarze Limousine mit getönten Scheiben hielt neben dem Rettungswagen. Einer der Sanitäter saß bereits hinter dem Steuer, zögernd wendete sich Adrian Alt der Beifahrertür zu, während Selenes Fahrer, ein kleiner Mann mit erstaunlich roten Haaren, ihr die Tür der Limousine aufhielt.
    Es war eine Winzigkeit, ein unbedeutender Fehler in der Formulierung, der Adrians Interesse erregt hatte. Seinen berufsbedingten Jagdinstinkt. Sein ganz eigenes Bedürfnis nach Wahrheit.
    »Frau Green?«
    Sie sah ihn an.
    »Warum sprechen Sie von einer Krankheit?«
    »Wie bitte?«
    »Sie sagten Symptome, die die Kranke aufweist . Niemand hat dergleichen erwähnt. Bisher hatten sie lediglich die Information, dass Olivia Kenning umgekippt ist und eine Kopfverletzung hat. Was wissen Sie bereits darüber, und welche Rolle spiele ich dabei?«
    Sie zuckte mit keiner Wimper.
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Ich habe lediglich einer Vermutung Ausdruck verliehen, sonst nichts. Vergessen Sie nicht, was Ihre Aufgabe ist, Herr Alt.«
    »Es ging nie um Sarah, nicht wahr? Das war nur ein Vorwand. Es ging immer um die Ursache.«
    »Ich erwarte von Ihnen, dass Sie …«
    »Woher kennen Sie Olivia Kenning?«
    »Adieu, Herr Alt.«

    Sie warf die Dokumentenmappe, das Lebenswerk des Unterberger, achtlos auf den Rücksitz.
    »Eine letzte Frage: Was für eine Art Organisation ist die WWS?«
    Selene lächelte kühl, hob die Hand zum Gruß und schwang sich in den Fond der Limousine. Der Fahrer schloss die Tür und ging mit einem katzenhaften Lächeln an dem Detektiv vorbei. Durch das getönte Glas konnte Adrian Alt ihre Gesichtszüge nicht mehr ausmachen, doch der silberne Halbmond, dieses sonderbare Schmuckstück, glänzte hell genug, um ihm die ungefähre Haltung seiner Auftraggeberin zu verraten. Ihr Gesicht war nach wie vor ihm zugewendet, und er war sich sicher, dass sie ihn aus ihren grünen Teichaugen unverwandt anstarrte.

11 Auszug aus dem Romanfragment »W.« von Olivia Kenning nach einer wahren Geschichte
    Drittes Kapitel: Die Wirtin
»Das genügt!«
    Die Wirtin nimmt ihrem Mann die Dose aus der Hand, schraubt den Deckel darauf und stellt sie an ihren Platz im Regal zurück, ganz oben, ganz hinten.
    »Das wäre sogar für einen Stier genug.«
    Der Wirt streichelt sein Werk wie ein besonders geliebtes Haustier, schiebt es hin und her, bis es exakt in der Mitte des Tellers positioniert ist, und greift schließlich zur Sprühsahne.
    »Frau, man darf kein Risiko eingehen. Mit hundertprozentiger Sicherheit, so lautet unser Auftrag, vergiss das nicht.«
    Er spricht langsam und gedehnt, dabei leise genug, dass man draußen im Wirtsraum nichts hört.
    »Mir ist das nicht recht. Die hat doch sowieso nichts begriffen.«
    »Die weiß was! Die tut nur

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