Jagdzeit
so großstadtdumm.«
»Ach was! Außerdem, warum bleibt das an uns hängen?«
»Frau, denk nach, bevor du redest. Wir haben sie schließlich einquartiert, alle beide. Also ist es unsere Pflicht …«
»Pflicht, Pflicht, immer nur Pflicht. Wir sind eine Gastwirtschaft, was ist uns denn übrig geblieben? Erst der Cowboy, dann die Frau, das ist mir nicht recht. Wir sollten uns da raushalten!«
Der Wirt schweigt und sprüht einen kunstvollen Berg Schlag
neben den Kuchen auf den Teller. Die Wirtin verschränkt die Arme vor der Brust und starrt düster zur Tür, als ließe sie sich allein durch Blicke für immer verschließen.
»Mir ist das nicht recht.«
»So? Willst du denn bestraft werden? Wie letztes Mal, als die neugierige Tante von Sarah mitsamt ihrem Misstrauen, ihren Schuldzuweisungen und ihren Drohungen unbehelligt abgereist ist? Willst du das?«
Die Wirtin schüttelt mit zusammengepressten Lippen den Kopf. O nein, das will sie nicht. Das Bedürfnis ist stärker. Wenn man ihnen wieder die Lieferung verweigert, dann wird sie kaputtgehen, die Müdigkeit bringt sie um. Die langen Tage, die schleichend vorübergehen, wie soll sie die noch einmal aushalten. Auch der Kopf spielt nicht mit, der vor allem nicht, er braucht ES, sonst fühlt er sich an wie ein riesiger Zeppelin. Sie nennt ES nicht beim Namen, nicht einmal in Gedanken. ES taufen heißt, ES akzeptieren. Die Tatsache akzeptieren, dass ein Leben ohne ES nicht vorstellbar ist.
So ähnlich verhält es sich mit den Kindern. Hier im Ort hält man Abstand zu seinen Kindern, bis sie drei, vier Jahre alt sind. Vorher kann zu viel geschehen, vorher sind es einfach nur Halbmenschen mit Entwicklungspotenzial. Vorher weigert sich selbst der Pfarrer, die heilige Taufe durchzuführen. Die Gefahr ist zu groß. Die erste Portion ist entscheidend. Die Menge schwer zu berechnen. ES trifft die Wahl. Überleben sie, gut, dann liebt man sie. Wenn nicht, dann hängt das Herz noch nicht dran. Ungeschriebene Gesetze.
Die Wirtin seufzt. Sie hat kein Kind geboren. Sie wollte nicht mit der Angst leben, das Risiko nicht eingehen. Verlust ist das Schlimmste. Verlust und Einsamkeit, das sind alte Bekannte.
Sie sieht das Leid auch bei denen, die Abstand halten. Niemand kann das Herz wegsperren. Nicht einmal ES bewirkt das.
Die Tante aus der Stadt damals, die hat gelitten, und die Wirtin empfand so etwas wie Barmherzigkeit. Darum hat sie sie gehen lassen, trotz der geballten Fäuste, trotz der Wut, trotz der Konsequenzen. Es ist nicht recht, jemanden zu attackieren, der Trauer empfindet.
Vage ist ihr bewusst, dass das meiste nicht recht ist, das hier zwischen den Bergen passiert, doch darüber nachzudenken hieße, das ganze gewohnte Leben zu hinterfragen. Das ist mehr, als die Wirtin fähig ist zu tun. Sie wendet sich energisch von ihrem Mann ab, um sich am Wasserhahn die Hände zu waschen. Heißes Wasser verbrüht ihr fast die Haut, doch sie schrubbt umso stärker, als ginge damit das Gift aus der Seele.
»Ich serviere das nicht. Tu, was du willst.«
»Keine Sorge, Frau«, der Wirt lächelt, »ich geh schon. Sei du nur still und spiel mit, dann haben wir nichts zu befürchten.«
»Und der Cowboy?«
»Um den wird sich schon auch noch gekümmert. Und wenn er auftaucht, dann habe ich diesmal statt der Dosen und Tetrapacks eine Büchse für ihn. Aber jetzt, in Gottes Namen, sei ruhig!«
Der Wirt nimmt den Teller mit dem Mohnkuchen, holt eine Gabel aus dem Besteckfach und verlässt die Küche Richtung Stube, wo die Fremde arglos sitzt.
Therese sieht ihm nach, zitternd vor Erregung. Der Cowboy. Was soll sie wegen dem Cowboy unternehmen? Sie weiß, ihr bleibt nicht mehr viel Zeit.
»Würden Sie etwas für mich tun, Therese?«, hat die fremde Tante mit den roten Schuhen gefragt, ehe sie in ihrem riesigen Wagen davongebraust ist.
» Was sollte das sein?«
Abwesend hat Therese die hübsche Kette mit dem silbernen Schmuckstück daran betrachtet, die die Fremde auf den Tisch gelegt hat. War das ein Halbmond?
»Ich möchte, dass Sie mir genau zuhören. Ich werde jemanden schicken. Einen Detektiv. Er wird in den Dorfgeheimnissen herumstöbern. Sorgen Sie dafür …«
Die Wirtin hat genau zugehört. Sehr genau. Und sie hat gewartet, bis die Zeit gekommen ist. Zeit, ihren Lohn zu fordern. Wünsche hat sie genug. Alles, was ich will, sagt es sanft in ihrem Kopf, alles, was ich will! In Gedanken versunken tastet sie nach dem kalten Mond, der, gut versteckt unter ihrer Bluse, um ihren
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