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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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mich mitten aus dem Astgeschwulst heraus an. Das braunrote Ding dort oben ist völlig starr. Ich kann nun auch einen gebogenen Schnabel ausmachen, der mit einer winzigen Bewegung auf und zu klackert. Wäre das nicht der Fall, hätte man das Tier für ein ausgestopftes Museumsexponat halten können, so eines, das in einer Glasvitrine jahrzehntelang als Mottenfalle dient. Aber ich befinde mich ja mitten in der wilden NATUR, hier sind die Waldbewohner echt, folglich habe ich soeben mit meinem Mobilfunkgerät einen - was eigentlich? - fast k. o. geschossen.
    »Äh,’tschuldigung, tut mir wirklich leid, ich wollte nicht, also, äh …«
    Kann das sein, dass du gerade mit einem Wildtier kommunizierst? Erwartest du etwa eine Antwort?

    Schon gut, alte Motzfrau, es ist nur so, dass es hier im Dschungel an Gesprächspartnern mangelt. Außerdem habe ich dem Dingsda womöglich wehgetan, und es holt gleich zum Gegenangriff aus. Ich meine, es ist ein Federtier, und du kennst meine Bedenken bezüglich allem, was Flügel hat. Ich sage nur Schnabel, wahrscheinlich Krallen, das sind spitze Mordwerkzeuge. Ein paar beruhigende Worte können also bestimmt nicht …
    »Wah! Hu-rumm?«
    ???
    »Tuuut! Wiiii-eh!«
    »Wie bitte?«
    »Tuuuuuut! Wiiiii-eh! Hick!«
    Das Tier wackelt mit dem Kopf, stößt ein zweites Mal auf, blinzelt und starrt mich weiter unverwandt an.
    »Ich glaube, ich verstehe nicht …«
    Es dreht den Kopf ungeduldig um hundertachtzig Grad nach hinten, dann wieder nach vorn, räuspert sich und sagt schließlich, immer noch kehlig, aber zumindest verständlich:
    »Das. Tut. Weh. Verzeihung, lange nicht gesprochen. Warum wirfst du elektronische Sachen nach mir? Hick!«
    (Es spricht! Hilfe!)
    »Oh, äh, ich wollte nicht nach dir werfen, ich war nur so wütend auf mein Handy, weil es kein Netz hat. Ich wusste ja nicht, dass jemand in diesem Baum wohnt. Gute Tarnung übrigens, Respekt. Ich hatte noch nie mit einem, äh, äh, na ja, mit so jemandem wie dir zu tun.«
    »Schon - hick - gut. Ich bin ein Waldkauz. Du kannst mich Sibby nennen. Was ist das für ein Handy?«
    (Sibby?)

    »Nun, das ist ein tragbares Telefon. Also, man kann mit jemandem sprechen, der nicht da ist, und, und, die Stimme wird irgendwie durch die Luft übertragen, weil, uh …«
    Der Kauz namens Sibby verdreht die Knopfaugen, hickst und unterbricht mich ungeduldig.
    »Ich weiß, was Mobilfunk ist. Welche Marke ist es?«
    »Oh, ach so, nun, kaputtes Sony Ericsson.«
    »Kamera integriert?«
    »Ja.«
    »Wie viel Megapixel?«
    »Äh, zwei Komma null glaub ich.«
    »Das ist aber ein altes Modell, hu? Neuere Geräte haben schon bis zu fünf. Bluetooth?«
    Meine Knie sind immer noch zittrig. Spreche ich tatsächlich gerade mit einem Waldkauz über die Features meines netzlosen Handys? Dieses Abenteuer fängt an, mich zu überfordern.
    Selbst schuld, hättest du eben nicht wie ein wild gewordener Urwaldaffe teuren Elektroschrott durch die Gegend geschmissen!
    Wie gut, dass auf eine innere Stimme immer Verlass ist. Produktivere Vorschläge, du alte Miesmuschel?
    Motzmarie schweigt beleidigt.
    »Hm, Sibby, ich bin nicht so versiert in technischen Details, aber ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir helfen könntest, den Weg aus diesem Wald zu finden. Ich habe mich nämlich ein kleines bisschen verlaufen. Außerdem ist eine Horde Jäger hinter mir her, und ich brauche dringend eine Telefonverbindung zur Polizei. Wo geht es denn wohl zur nächstgelegenen menschlichen Behausung?«
    Klack, klack. Der Kauz legt den Kopf schief, betrachtet mich nachdenklich, kratzt sich schließlich mit der Kralle ausführlich
am Schnabel. Das heißt, er versucht es, wobei er das Gleichgewicht nicht so richtig halten kann und beinahe vom Ast kippt.
    »Hu! Dein Weg führt weg vom Dorf. Tief in den Wald. Schöne Jacke übrigens! Schuhu.«
    »Danke.«
    »Hick!«
    Sibbys Augenlider werden schwer und fallen schließlich ganz zu. Sie wiegt sich leicht (ist es eine sie?), leise schuhuend, und ich frage mich im Stillen, wie Vögel das bewerkstelligen, auf einem Ast sitzend einzuschlafen.
    »Oh, bitte noch nicht schlafen. Das mit der Wegbeschreibung wäre nämlich eher dringend. Wärst du so lieb?«
    »Wege sind überall. Sie führen in den Wald und aus dem Wald. Von oben sind sie nicht sonderlich interessant. Nur grüne Baumspitzen sieht man da. Schuuhhh.«
    »Ja, das ist natürlich korrekt, du fliegst logischerweise nicht in Bodennähe. Wege sind dir wohl eher egal. Es genügt auch schon,

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