Jagdzeit
nach. Deprimierend, äußerst deprimierend! Wie haben unsere Vorfahren dieses Problem eigentlich gelöst? Ich nehme an, dass es die Monatsblutung schon ein paar Jahrhunderte länger gibt.
Ich mache mir Gedanken über die Saugfähigkeit von Blättern, komme aber wieder davon ab, angesichts der Eventualität,
im Dunkel etwas Giftiges, Dorniges oder Brennendes zu erwischen. Brrrrr.
Nächste Möglichkeit: Ein Stück von meiner ohnehin schon ruinierten Hose abreißen. Das ist in der Theorie ein genialer Einfall, in der Praxis, ohne Schere, Messer oder sonstige scharfkantige Gegenstände, schlicht und einfach nicht zu bewerkstelligen. Synthetikgewebe bekommt zwar Löcher, wenn man fällt, und nach einiger Zeit, durch die Reibung nicht ganz knochiger Oberschenkel, gehen die Nähte auf, doch ist es offensichtlich unmöglich, ein Stück davon abzureißen. Nach mehreren schweißtreibenden Versuchen gebe ich fluchend auf. Mein T-Shirt? O nein! Ich werde keinesfalls halb nackt durch die Gegend laufen, nicht einmal im dunklen Wald. Und was den BH betrifft, da habe ich mich für das Modell mit den großen Spitzen entschieden, Saugfähigkeit sowie Eignung als Slipeinlagenimprovisation gleich null.
Du bist im A…!
Herzlichen Dank, dass du mich daran erinnerst, darauf wäre ich nie gekommen! Ich krame blind in meiner Handtasche, dann in den Seitentaschen meiner Jacke, wo meine Finger den Gegenstand ertasten, nach dem ich gesucht habe.
Nein! Das nicht! Das würdest du nicht tun!
O doch, liebste Motzmarie. Es gibt Momente im Leben einer Frau, wo sie zwischen der Gegenwart und der Zukunft wählen muss. Es liegt im Bereich des Möglichen, dass ich innerhalb der nächsten Stunden Wolfsnahrung bin oder sonst wie ums Leben komme, ehe ich das Ziel meiner Wünsche auch nur zu sehen kriege. Dennoch wird die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, immens erhöht, wenn ich meinen Fluchtweg mit Blutstropfen markiere. Als lebensverlängernde Maßnahme
Nummer eins opfere ich hiermit meine Worte an die Nachwelt. Pfeif drauf, was mit meiner Leiche geschieht, sollen sich doch andere den Kopf zerbrechen. Sollen sie sich von mir aus die Schädel einschlagen wegen der Frage, wer meine unglaublichen Reichtümer einsackt! Ich gehe nicht davon aus, dass mich im Jenseits (oder wo auch immer) solche Nichtigkeiten überhaupt interessieren.
Ohne weiter zu zögern oder auf Motzmaries klagende Schluchzer Rücksicht zu nehmen, platziere ich, auf meinen Tastsinn reduziert, das Taschentuch mit meinem Testament in der figurformenden Unterhose. Ich bin mir darüber im Klaren, dass das in etwa dem Versuch entspricht, einen Nildamm aus Eierkartons zu errichten, doch es ist alles, was ich habe. Zur Beruhigung schlucke ich noch drei Johanniskrauttabletten.
Vorsichtig löse ich mich sodann von meinem mir lieb gewordenen Baumstamm. Mir fällt auf, dass ich etwas erkennen kann. Nicht viel mehr als Umrisse, aber besser als das vorherige Tiefschwarz ist es allemal. Ein Schritt nach dem anderen. Hauptsache weiter. Wie ein Süchtiger, der alles aus seinem Denken entfernt hat, was nicht seinen Stoff betrifft, weiß ich instinktiv, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Hütte zu finden.
Die Wahrheit schmeckt bitter: Es gibt außerhalb dieses Waldes nichts mehr, zu dem ich zurückkehren kann. Ich habe mich nicht im Wald verirrt, ich habe mich hierher geflüchtet. Das Ziel meiner Wünsche, das hat Mimmer geschrieben. Ich würde weitergehen und sagen: das Ziel meines Lebens. Ich wollte schreiben, seit ich ein Kind war. Es ist keine simple Berufung, kein Bedürfnis unter anderen, es ist Besessenheit. Wenn ich nicht mehr schreiben kann, werde ich aufhören zu existieren.
Daher kämpfe ich mich mit neuer Entschlossenheit durch das nächtliche Unterholz. Wenn das Vorwärtskommen schon bei Tag ein Problem war, so ist es nun, in der Dunkelheit, beinahe unmöglich. Alle paar Zentimeter stolpere ich über unsichtbare Hindernisse. Mit zusammengebissenen Zähnen halte ich mich, so gut es geht, auf den Beinen. Ich weiß nicht, wie weit ich schon vorangekommen bin, doch anhand der Unebenheiten spüre ich, dass es der richtige Teil des Waldes ist. Immer höher türmen sich die Wurzeln, meine Knöchel können ein Lied davon singen. Folge den Wurzeln. Ja, Herr Mimmer, das tue ich.
Dennoch würde ich mich um einiges wohler fühlen, wenn das Wolfsgeheul hörbar und das Monster dadurch lokalisierbar wäre. Der Gedanke, dass jeder Moment mein letzter sein könnte, dass mich hinter
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