Jagdzeit
gut zu, Herr Alt. Ich habe Sie gewarnt! Hier zu bleiben kann die absolut schlechteste Entscheidung Ihres Lebens gewesen sein. Sie haben es nicht mit einem Haufen naiver Dörfler zu tun. Unser Dorf ist keines dieser Nester, wo jede Kalbsgeburt ein Großereignis ist und treuherzige Bauerntölpel Almwiesen bestellen oder Bauernschnapstourniere bestreiten.«
Er holte tief Luft.
»Der Ort ist alt.«
»Wie bitte?«
»Älter als alles, genau genommen. Dieser Fleck war immer schon speziell. Es hat mit dem Wald zu tun.«
»Sie meinen …«
»Ich meine nicht, ich weiß! Mehr als man mir zutraut, Herr Detektiv. Am besten folgen Sie mir. Solche Dinge zu besprechen, dafür gibt es wirklich bessere Orte.«
Der Unterberger stapfte mit schweren Schritten voraus, während Adrian sich aus alter Gewohnheit bemühte, sich so geräuschlos
wie möglich fortzubewegen. Er folgte dem sonderbaren Mann mit der Pelzhaube die gesamte Länge des Sportplatzes entlang und schließlich direkt auf den Waldrand zu.
»Wenn Sie sagen, es hat mit dem Wald zu tun, meinen Sie dann, dass dieser Wald anders ist als andere Wälder?«, fragte Adrian, während er die Bäume betrachtete, die eigentlich ganz normal und keineswegs absonderlich aussahen.
»Dieser Wald, Herr Alt, ist nicht einmal ansatzweise so wie andere Wälder.« Ungerührt bewegte der Unterberger sich durchs pfadlose Unterholz, als könnte er den Weg riechen. »Überall sonst in diesen Bergen bestehen die Wälder zu über neunzig Prozent aus Nadelbäumen, meist sogar zur Gänze. In unserem Fall gilt das nur am Waldrand. Wer sich die Mühe macht und den Mut aufbringt, tiefer ins Herz unseres Waldes vorzudringen, dem wird die immer stärker werdende Konzentration von Laubbäumen auffallen, insbesondere Erlen, Buchen, Birken und Eschen. Ganz besonders Eschen. Genau in der Mitte des Waldes wächst die größte und älteste Esche überhaupt. Es heißt, sie sei älter als die Menschheit.«
»Märchen. Sagen. Mythen.«
»Keineswegs. Mimmer hat den Weg gefunden.«
»Mimmer ist tot.«
Abrupt blieb der Unterberger stehen, drehte sich einmal um sich selbst, tastete den Stamm einer windschiefen Fichte ab und nickte zufrieden.
»Hier sind wir.«
»Sind wo?«
Adrian konnte nichts als Wald um sich herum erkennen. Nadelwald, wohlgemerkt. Doch der Unterberger grinste nur, bückte sich, ergriff eine schmale Wurzel, die sich seltsam krümmte,
und zog daran. Zu Adrians Verblüffung öffnete sich mitten im Waldboden eine Falltür und gab den Einstieg zu einer unterirdischen Höhle frei.
»Nach Ihnen«, sagte der Unterberger und deutete auf die oberste Stufe einer wackligen Holzleiter, die in die Tiefe führte.
»Wo sind wir hier?«, fragte Adrian vorsichtig.
»Das ist mein Hauptquartier«, antwortete der Unterberger mit entblößten Zähnen. »Keine Sorge, es gibt Licht.« Unter Adrians staunendem Blick knipste der Unterberger eine Lampe an, die den Weg nach unten erleuchtete. Ohne weiter zu zögern, stieg Adrian in die Tiefe.
Was er dort vorfand, war wirklich verblüffend. Weit davon entfernt, eine schmutzige Grube zu sein, befand sich in dem vielleicht fünf Meter unter der Oberfläche befindlichen, etwa sechs Quadratmeter großen Raum ein sehr durchgesessener, aber sauberer beigefarbener Lehnstuhl. Daneben, auf einem kleinen Tischchen, stand ein uralter, aber funktionstüchtiger Monitor, der in Schwarzweiß den Waldboden über ihnen zeigte. Die Kamera musste auf einem Baum angebracht sein, denn das Bild war aus der Vogelperspektive aufgenommen. Alles drahtlos vernetzt. Der Privatdetektiv sah sich erstaunt um. An den Wänden der Grube waren Regale angebracht, auf denen sich Bücher stapelten, und am Fuß der Leiter stand eine äußerst robust aussehende Metalltruhe, die vermutlich aus Militär- oder sogar Luftfahrtbeständen stammte.
»Eine ehemalige Wolfsfalle«, erklärte der Unterberger, der mittlerweile hinter Adrian die Leiter hinuntergestiegen war, die Klappe geschlossen sowie den Vogelkäfig in eine Ecke gestellt hatte, »davon gab es früher eine ganze Menge.«
Er stand in dem engen unterirdischen Raum unmittelbar
neben Adrian. Nahe genug, dass Adrian der eklig staubige Geruch der Pelzhaube sowie der alte Schweiß im Overall seines Begleiters unangenehm auffielen.
»Ich habe dieses Versteck kurz nach Mimmers Tod entdeckt. Bevor die erste Jagd seit Langem stattfand. Ich bin praktisch darüber gestolpert, als ich anfing, die Käuze zu suchen. Die Falle war ewig nicht mehr benützt
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