Jagdzeit
hatte? Einmal hörte sie draußen ein schwaches Geräusch und ihr Herz raste noch mehr. Hatte Eddie ihr Detektive hinterhergeschickt, waren sie und Martin verfolgt worden? Gleich würden sie hereinstürzen, mit Kameras und Blitzlicht, lachend, und die Decke wegreißen.
Eddies Gesicht tauchte vor ihr auf, mit mörderischen, schmalen Augen und seinem dicken grinsenden Maul. Warum hatte sie ihn jemals geheiratet, diesen völlig Fremden? Unglaublicherweise musste er irgendwann mal ein Gefühl wie Liebe bei ihr hervorgerufen haben, oder hatte sie sich nur von ihrer Einsamkeit überreden lassen? Selbst jetzt erinnerte sie sich noch dumpf an qualvolle, einsame Nächte in einem möblierten Zimmer in Detroit, Sandwiches und Kaffee in einer grell erleuchteten Cafeteria; den Blick auf die fast menschenleere Straße an Sommerabenden, alle waren weg; Winterabende, an denen sie ein Magazin nach dem anderen gelesen hatte. Mit siebzehn hatte sie nach dem High-School-Abschluss gleich bei General Motors zu arbeiten begonnen. Die weniger verklemmten Mädchen hatten sich die guten Männer geschnappt, am Ende war sie verzweifelt genug gewesen, dass ihr fast jeder recht war.
Und jetzt Martin, gewöhnlich, nicht wirklich gut aussehend, sicherlich nicht wirklich erfolgreich, jedenfalls nicht im Vergleich zu einer Menge anderer Männer seines Alters. Liebte sie Martin, liebte sie ihn wirklich? Oder war er genauso eine Zuflucht, wie Eddie es gewesen war, jemand, der ihr nur wieder half, der Einsamkeit zu entkommen? Die Frage wagte sie sich nicht zu stellen, geschweige denn sie zu beantworten.
Um drei Uhr dreißig schlich sie sich von Martin weg ins Badezimmer und zündete sich eine Zigarette an. Der Spiegel warf ihr blasses Gesicht zurück, zerwühltes braunes Haar, das nicht mehr jung wirkte, und ihre länglichen Brüste, die viel von ihrer jugendlichen Festigkeit verloren hatten. Wütend stampfte sie ihre Zigarette aus, Funken sprühten auf dem gekachelten Boden, verbrannten ihr den Fuß, und sie hasste sich dafür, dass sie sich nicht mochte. So schlecht war sie nun auch wieder nicht. Dass die Männer sie ewig missbrauchten, war der Grund dafür, dass sie sich hasste. Sex war nicht so wichtig. Wichtig war es zu heiraten. Martin hatte gesagt, dass er es wollte. Warum konnten sie dann nicht diesmal abhauen? Wirklich abhauen. Eddie verlassen, Jean verlassen und die Scheidungen einreichen. Fünf freie Tage vor ihnen, in denen sie den vollständigen, endgültigen Bruch vollziehen, in denen sie beschließen konnten, nie mehr nach Hause zurückzukehren.
Würde er das tun? Oder würde Jean ihn zurückhalten? Er stand unter ihrer Fuchtel, das war sicher. Und warum? Sie ließ ihn nicht ran, zumindest sagte er das. Sie kochte nicht für ihn, sie war eklig zu den Kindern, sein Haus war ein Müllhaufen, sie mochte keinen seiner Freunde, sie flirtete mit anderen Männern und betrog ihn wahrscheinlich auch, und sie verachtete seinen Job und sagte ihm, er sei ein Versager und würde es nie in seinem Leben zu was bringen.
Nancy war Jean nur einmal begegnet. Bei einer Party am selben Abend, als sie Martin traf. Eine hochgewachsene, gutaussehende Frau mit honigfarbenem Haar und den richtigen Klamotten, mit einem enttäuschten Mund und einem harten, arroganten Blick, selbst wenn sie mit anderen Männern schäkerte. Sie erzeugte bei anderen Frauen auf der Stelle Minderwertigkeitsgefühle. Das war auch der Grund, warum Nancy einverstanden gewesen war, mit Martin Kaffee trinken zu gehen, als er sie am nächsten Tag anrief.
Und so waren sie zusammengekommen. Zuerst seltsam heimliche Mittagessen. Dann, an einem späten Nachmittag, die Stunde in einem Motel. Dann Lügen für Eddie und Lügen für Jean und ein entnervtes Wochenende, an dem Martin sie unbekümmert und ungestüm begehrte und dann jedes Mal von Sorgen und Schuldgefühlen zerrissen war, wenn er fertig war. So konnte es nicht weitergehen. Schließlich hatten sie sich geeinigt, das Ganze sein zu lassen. Bis just vor einem Monat Martin sie beim Einkaufen abpasste und ihr sagte, er könne es ohne sie nicht mehr aushalten.
Nancy erschrak, als sie bemerkte, wie lange sie im Badezimmer gesessen hatte. Es war fünf Uhr dreißig. Sie schaltete das Licht aus und machte sich müde auf den Rückweg ins Bett. Bald würde Martin aufwachen und sie wieder vögeln wollen, wie Männer es für gewöhnlich tun, wenn sie aufwachen. Als sie sich ihren Weg durch die fremde Dunkelheit des Zimmers ertastete, hörte sie
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