Jagdzeit
und warf dabei einen Blick zum Dachfirst der Mühle hinauf. Vorsichtig glitt er die Mauer herunter, hoffte, ihre Leichen nicht mit seinem Fuß zu berühren. Sie würden jetzt schon starr sein, steif wie ein Brett, beide, zwei steinharte Brocken Fleisch, aufeinandergeklatscht, mit gefrorenem Blut. Er bewegte sich vorsichtig.
„Hast du sie?“
„Noch nicht.“
Er ging fünf Yards weiter an der Mauer entlang, Ken folgte ihm oben in Schulterhöhe. Da war nichts. Er blieb stehen.
„Was ist los?“
„Weiß nicht.“ Art ging den Weg zurück, erreichte seinen Ausgangspunkt, schlug den entgegengesetzten Weg ein, wobei er seine Füße, jetzt kühner, in ruckartigen Bögen vor sich herschwang.
Etwas stimmte nicht.
„Was ist los, verdammt noch mal?“ Das war wieder Ken, und in seinem Flüstern lag der gleiche schreckliche Verdacht, der ihm auch langsam kam.
„Sie sind nicht da“, sagte er schließlich.
„Sie müssen da sein.“
„Hör zu, ich sage dir, ich steh’ genau da, wo es passiert ist. Ich stand direkt neben Greg.“
Es war entsetzlich. Nancy und Greg waren verschwunden.
Ken sagte plötzlich: „Lass uns bloß abhauen.“
„Warte.“ Der bleistiftdünne Strahl von Arts Taschenlampe leuchtete auf, strich über den Boden. Ken langte hinunter, riss sie ihm aus der Hand und machte sie aus. „Bist du verrückt?“ Er packte Art am Arm und spürte, wie dieser nach Luft rang. Es war der verwundete Arm. Er fluchte, verfluchte Art, verfluchte sich selbst, den Jäger, alles. Wegen des Lichts war sein Nachtsehvermögen verschwunden. Und wer immer sie verfolgte, könnte sie jetzt entdeckt haben. All ihre Vorsicht und Lautlosigkeit war umsonst gewesen.
Ken half Art die Mauer hinauf, sagte nichts mehr, und lenkte ihn nur grob Richtung Gebüsch. Als sie es erreicht hatten, brach es wütend aus ihm heraus: „Du verdammter Idiot.“
„Selber Idiot. Wenigstens wissen wir jetzt, dass sie nicht da sind. Wenigstens wissen wir es.“ Art klang dennoch schuldbewusst.
Ken konnte jetzt wieder ein wenig sehen. Er konnte die Silhouetten einiger riesiger Baumkronen gegen den Nachthimmel ausmachen. Er unterdrückte seine Wut. „Los, gehen wir“, sagte er.
„Wohin?“
„Zu den Booten.“ „Abhauen? Jetzt bist du verrückt.“
„Nicht zum Fliehen. Zum Schlafen.“
Art überlegte. „Wir könnten uns in der Hütte abwechseln“, schlug er vor.
„Ohne mich.“ Ken marschierte festen Schrittes Richtung See. Nach ein paar Yards hörte er, wie Art ihm folgte. Er ging weiter. Irgendwo in der tintenschwarzen Finsternis, die sie umgab, war jemand Unmenschliches. Jemand, der Greg getötet und seine und Nancys Leiche entfernt hatte. Warum? Um sie beide zu erschrecken? Als Beweismittel? Um Nancys Leiche gegen sie zu verwenden, während er seinen eigenen Mord vertuschte?
Und wer war er?
Und wo war er? Da draußen, aber wo?
Ken hörte wieder eine Bewegung. Es war Art, der plötzlich an ihm vorbeiging, Richtung Landeplatz, der vorwärts stürmte, in Panik, ohne sich noch darum zu kümmern, ob er Lärm machte. Er hatte die Idee mit dem Boot akzeptiert, und jetzt war sein einziger Gedanke, sich hineinzusetzen und hinaus auf den See zu fahren, wo sie in Sicherheit sein würden.
Ken zischte: „Warte!“ Aber Art pflügte weiter durchs Gebüsch. Dämlicher Idiot, dachte Ken. Er folgte ihm und versuchte, durch den Lärm, den Art machte, hindurch zu hören, ob sie verfolgt wurden.
Dann erreichte Art das Seeufer, und ein anderes Geräusch war zu hören. Ken brauchte ein, zwei Sekunden, um zu erkennen, was es war. Art wimmerte. Es war ein leiser, animalischer Laut blanken, verzweifelten Entsetzens. Ken fand Art an der baumfreien Stelle, die ihr Landeplatz war, gut sichtbar vor dem Hintergrund der Sterne, die sich auf der Wasseroberfläche spiegelten. Er lag auf den Knien, am Rand des Wassers, den Kopf gebeugt.
Ken wusste sofort, warum. Man brauchte es ihm nicht zu sagen. Aber er trat trotzdem leicht mit dem Fuß dagegen. Das Boot, das er vorhin an Land gezogen hatte, lag vollkommen schlaff da, völlig nutzlose Fetzen zerschnittenen Gummis. Ken ging an Art vorbei zu dem Baum, wo Art und Greg das andere Boot aufgehängt hatten. Er berührte es mit der Hand, und ein langer Gummistreifen fiel, sich windend, auf seinen Arm herunter, wie eine Schlange.
Sie würden nicht auf den See hinausfahren. Nicht in einem Schlauchboot. Nicht heute Nacht. Und auch morgen nicht.
20
Er stand zehn Fuß weit weg, das Messer bereit, und sah zu,
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