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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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wegen all dem könnten sie sich nicht so gut zur Wehr setzen.
    Bevor sie jedoch zum Steilufer hinaufgingen, würden sie in die Hütte zurückgehen. Art war verletzt. Wahrscheinlich hatten sie Medikamente mitgenommen, aber Arts instinktives Sicherheitsbedürfnis würde ihn dazu treiben, sich jede nur denkbare Ausrede einfallen zu lassen, damit Ken mit ihm dorthin ging. Art war ein Stadtmensch, in emotionaler Hinsicht stellten die vier Wände der Hütte für ihn eine Festung dar, die ihn moralisch aufrichten konnte.
    Er überquerte die Schornstein-Plattform, presste sein Auge an die Ziegelwand und wartete.
    Es dauerte nicht lange. Plötzlich, am äußersten rechten Rand seines Gesichtsfeldes, zitterte die Spitze einer Weißbirke. Ken erschien hinter der Hütte, geduckt, das Gewehr erhoben und schussbereit. So verharrte er vielleicht zehn Sekunden, dann stürzte er vor zur Hüttenwand, die ihm mehr Sicherheit bot. Er atmete ruhiger und winkte. Art erschien, genauso vorsichtig, den verletzten Arm in einer Schlinge, mit dem anderen presste er das Gewehr an seinen Körper. Er stieß zu Ken und hielt Ausschau, während sich Ken durchs Fenster in die Hütte hievte. Dann reichte er ihm sein Gewehr und zwängte sich mit Kens Hilfe ebenfalls rasch hinein.
    Er wartete. Wenn er es gewagt hätte, ein Loch in die Ziegelwand zu stemmen, das groß genug war, mit dem Gewehr hindurchzuzielen, hätte er sie jetzt beide ohne Zielfernrohr erwischen können. Aber den Plan, ein Loch dieser Größe zu machen, hatte er letztes Jahr verworfen. Das Risiko, dass es bemerkt werden könnte, war zu groß. Den Kamin nutzte er nur zur Beobachtung.
    Nach einer Viertelstunde begann die Luft über dem Küchenschornstein zu flimmern. Das bedeutete Hitze, und Hitze bedeutete, dass sie Wasser erhitzten, vielleicht auch, dass sie kochten. Sie würden demnach einige Zeit da drinnen sein. Er setzte sich und rauchte, schaltete seine Gedanken aus und erlaubte es sich nicht, seine Pläne noch mal zu überdenken, potentielle andere Möglichkeiten zu überprüfen. Du kannst auch zu viel denken; du kannst dich derart in eine Erwartungshaltung versenken, dass du am Ende nicht mehr effektiv handeln kannst. Ein paar Dinge mussten ungeplant bleiben und im entscheidenden Moment improvisiert werden.
    Und er hielt sich selbst davon ab, über Alicia nachzudenken, so wie er es gestern Nacht getan hatte, die Benommenheit des Verliebtseins, wann immer er im Geiste ihre Augen strahlen sah, in einem der wenigen Augenblicke gemeinsamen Lachens. Vor langer Zeit schon hatte er aufgehört, sich an sie als Tote zu erinnern, an ihr entstelltes, blutleeres Gesicht im sterilen, kalten Licht des Leichenschauhauses, an das hilflose langsame Erkennen, dass es jetzt für alles zu spät war, dass er nicht einmal mehr versuchen konnte, ihr zu helfen. Hatte er wirklich alles Menschenmögliche getan? Dies nicht mit Sicherheit zu wissen, war der größte Schmerz von allen.
    Ruhelos erhob er sich. Aber es musste fast neun Uhr werden, bis er endlich für seine Ausdauer belohnt wurde.
    Sie kamen wieder heraus, Art bei der Eingangstür, Ken an der Rückseite der Hütte. Sie hatten sich rasiert, gewaschen; Art hatte sich umgezogen.
    Sie sahen fit und entschlossen aus. Erstaunlich, wie ein bisschen Essen, ein Drink und ein warmes Frühstück einen Mann wieder auf die Beine bringen konnten, der vermutlich die ganze Nacht kein Auge zugetan hatte. Er selbst könnte das auch brauchen, dachte er plötzlich. Ja, warum nicht, zum Teufel? Er hatte viel zu tun. Er hatte den vielleicht kältesten und anstrengendsten Tag seines Lebens vor sich, jede Minute wachsam. Warum nicht vorher ein wenig Erholung? Er beobachtete, wie sie in den Wald tauchten und verschwanden. Er blieb auf dem Posten. Bald tauchte Ken wieder auf, an der Westseite der Mühle, wo Nancy und Greg gestorben waren. Er wollte sich noch mal vergewissern, dass gestern Nacht nicht einfach nur ein grauenhafter Irrtum gewesen war.
    Art konnte er nicht sehen, aber er verfolgte Ken wachsam, bis dieser Richtung Steilufer ging, genau wie er es erwartet hatte.
    Dann kletterte er die Kaminleiter hinunter. Er ging ein Risiko ein, weil er zuvor nicht Arts Position ausgemacht hatte, aber er vermutete, dass Art an der Ostseite der Mühle entlanggegangen war und Ken im Wald nördlich treffen würde. Zuerst jedoch, denn nur Idioten würden auf dieses Manöver verzichten, würde Art sich im Gebüsch verstecken, Ken Deckung geben und die Mühle beobachten. Das

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