Jagdzeit
versuchten, ihn über die glatte Innenseite des Kamins zu erreichen, fielen aber wieder herunter.
Sie befreiten seinen Geist von den Gedanken an die Vergangenheit und er hörte ihnen zu, bis der Weckton seiner Armbanduhr ertönte. Es war fast sieben und noch dunkel. Er fischte ein paar Feldrationen aus seinem Rucksack, die er aß, langsam und sorgfältig kaute er die trockenen, geschmacklosen, dehydrierten keksförmigen Dinger und spülte sie mit Wasser aus der Feldflasche runter. Ihm war kalt. Der Frost war wie ein dumpfer Schmerz tief in seine Knochen gedrungen, und man konnte ihm nicht entkommen. Aber den beiden Schweinehunden da draußen würde auch kalt sein, und schlimmer noch, sie würden Angst haben.
Bald sah er erste Zeichen des nahenden Morgengrauens. In dem gähnenden Kaminloch über ihm war das Schwarz der Nacht plötzlich einem wahrnehmbaren Grau gewichen. Da erinnerte er sich, dass er schon länger keine Sterne mehr gesehen hatte, und fragte sich, ob es bewölkt oder klar sei. Solange es nicht heller war, hell genug, die Rötung des Himmels beim Sonnenaufgang oder die wirbelnde Bewegung einer Wolke zu sehen, würde er es nicht wissen. Besser, es wäre bewölkt. Es wäre kalt, aber die Sonne könnte nicht blenden, wenn er in ihre Richtung schießen musste, und sie würde nicht vom Lauf seines Gewehrs reflektiert, wenn er zielte.
Er packte zusammen, überprüfte sein Gewehr und ließ das Zielfernrohr in die schmale Spezialtasche gleiten, die er sich an den linken Oberschenkel seiner Hose genäht hatte. Er legte sein Auge an eines der Gucklöcher in der bröseligen Ziegelmauer, um nach der Außenwelt unter ihm zu sehen. Das Wetter hatte sich tatsächlich verändert. Der Herbst war vorbei. Hochliegende, einheitliche Cirrostratuswolken bedeckten den Himmel. In wenigen Tagen würden sie sich senken und es würde schneien. Der Winter kam.
Er verharrte mit dem Auge am Guckloch. Sein Sichtwinkel umfasste horizontal wie vertikal etwa neunzig Grad. Er erfasste die Hütte, die Lichtung ringsum bis zum See und den Gebüschstreifen zwischen Hütte und Mühle. Direkt unter ihm lag das zerfallene, moosbedeckte Dach der Mühle. Keine Spur von Menschen. Ein paar Enten flogen im Tiefflug vorbei, ein Luftzug, und sie verschwanden. Sie waren die letzten der riesigen Menge Zugvögel, für die dieses Jahr so gut wie vorbei war.
Vorsichtig überquerte er seine wackelige Plattform in Richtung der gegenüberliegenden Seite des Kamins. Dort schaute er durch ein anderes Guckloch. Dieses erfasste den Wald und das Steinufer im Norden, von wo er gestern Greg erschossen hatte. Noch war niemand dort, aber bis zum späten Vormittag würden sie dort hinkommen. Es würde nicht lange dauern, bis sie entschieden, dass er vom Steilufer aus geschossen hatte, wenn sie es nicht schon ausgemacht hatten. Die Neugierde würde sie hintreiben. Sie würden hinaufgehen und nach irgendwelchen Spuren von ihm suchen, und sie würden die leere Pa trone finden, die er in einen Felsspalt geklemmt hatte. Sie würden sie herauspulen, kein leichtes Geschäft, und entdecken, dass es eine der ihren war, die er im Wald aufgelesen hatte. Erst würden sie denken, dass er das gleiche Kaliber wie sie verwendete. Bald aber würden sie sich an den tiefen Klang des Echos erinnern, das sie gehört hatten. Und ihre Erinnerung würde ihre Augen Lügen strafen. Sie würden wissen, dass er die Patrone hinterlassen hatte, um sie zu verunsichern. Sie würden so tun, als machte ihnen das nichts aus, aber es würde bereits zu spät sein.
Sie würden auch den Zigarettenstummel finden. Eine von Kens eigenen Zigaretten, die er aus der silbernen Dose in Kens Wohnzimmer genommen hatte, als er Petey ablieferte. Aber das konnte Ken weder wissen noch erraten. Auch Art nicht. Erst würden sie denken, er rauche dieselbe Marke; später würden sie sich fragen, ob er sie nicht zum Narren hielt. Der Zweifel würde an ihnen nagen, bohren, sie quälen und ihre überlebenswichtige Konzentration schwächen. Wer war der Jäger, der so gut über ihre Gewohnheiten Bescheid wusste, ihre Gewehre und ihre Zigarettenmarken kannte? Was wusste er noch? Hatten sie irgendwann einen Fehler gemacht, ohne es selbst zu bemerken? Gab es da etwas in der Vergangenheit des einen, das der andere nicht kannte, das eine persönliche Rache auslösen konnte? Sie würden einander verstohlen mustern und sich Fragen stellen, jede einzelne Spur in ihrem Gehirn verfolgen und am Ende doch nichts herausbringen. Und
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