Jagdzeit
wie Ken Art auf die Beine zerrte. Er hörte ihr leises Flüstern, und er folgte ihnen ein kurzes Stück vom See ins Gebüsch. Es war zu gefährlich, jetzt zu versuchen, sie zu töten, egal, ob mit Messer oder Kugel. Zu gefährlich, wenn sie so zusammen waren. Womöglich erwischte er in der Dunkelheit nur einen, verfehlte den anderen und hatte ihn anschließend am Hals. Er konnte sich einen solchen Fehler nicht leisten. Oder irgendwelche Fehler jedweder Art. Die einzigen zwei Fehler, die er sich erlauben konnte, hatte er schon gemacht; zuerst den, dass er Art verfehlt hatte, weil er zu vorsichtig gezielt und Art sich inzwischen bewegt hatte. Und dann hatte er alles noch schlimmer gemacht, indem er wie ein Anfänger im Jagdfieber gleich noch mal abgedrückt hatte. Niemand konnte mit einem Zielfernrohr einen Mann treffen, der rennt, und er hatte keine Zeit gehabt, es abzumontieren.
Er ließ die beiden laufen. Sie würden sich über Nacht irgendwo im Dickicht verkriechen, vielleicht auf einem Erdhügel im Sumpf, ein logischer und sicherer Ort. Welche Ironie! Sie würden die arme Frau zusammen mit dem Mann als Gesellschaft haben, ganz nahe, auf dem Grund des Moors. Wie waren ihre Namen? Er hatte die Brieftasche des Mannes durchgesehen. Martin. Martin Clement. Und gestern hatte er Ken gehört, oder war es Greg gewesen, wie er ihren Namen rief— Nancy. Das war’s. Ihr Familienname spielte keine Rolle; bei keinem. Heute morgen war sie noch lebendig gewesen, warm, hatte geatmet, sie war bei Bewusstsein und noch voller Hoffnung gewesen. Martin genauso. Und verzweifelt. Jetzt waren sie in Stücke geschossen und mit Wasser gefüllt und lagen eisig kalt auf Gott weiß was für armen Teufeln vom letzten Jahr. Auf Knochen und verrottenden Sehnen und Knorpel vielleicht. Oder sie waren tief genug in den schlammigen Untergrund gesaugt worden und gut erhalten, lagen dort herum wie Gefallene auf einem Schlachtfeld, einige übereinander, andere allein.
Arme Nancy. Armer Martin. Sie beide sterben zu lassen, wenn er sie doch beide hätte retten können. Aber Zeugen konnte er sich nicht leisten, und wenn er dafür gesorgt hätte, dass sie überlebten und vielleicht den Weg zurückgefunden hätten, wären sie sicher bald mit der Polizei zurückgekommen, und darauf war er nicht vorbereitet. Noch nicht, jedenfalls. Bevor die Polizei ins Spiel kam, würde er ein ziemliches Großreinemachen veranstalten müssen. Es würde nicht der kleinste Fetzen eines Beweises übrig bleiben dürfen, kein Tropfen Blut, kein geknicktes Blatt, kein Fingerabdruck, keine Haarsträhne. Die Forensiker würden nicht das Geringste finden.
Er begab sich zur Mühle zurück und dachte dabei an Ken und Art. Er hatte gesehen, wie schnell Art in Deckung gegangen war, nachdem er ihn angeschossen hatte, hatte gesehen, wie Ken das Schlauchboot an Land gebracht und zu Art gestoßen war. Als Art auf der Lichtung gestürzt war, hatte er einen Moment lang gedacht, dass er sie beide erwischen könnte. Aber Ken war zu schnell gewesen. Ein Vierhundert-Yard-Schuss mit Zielfernrohr braucht seine Zeit. Was soll’s; er war Greg losgeworden, den einzigen, den er vielleicht nicht hätte beseitigen können, wenn es zum Kampf Mann gegen Mann gekommen wäre.
Er nahm noch ein paar Züge, drückte die Zigarette vorsichtig an einem Balken aus und steckte den Stummel in die Tasche, um den Tabakrest am nächsten Tag zu verstreuen und das Papier, zu einer winzigen Kugel zusammengerollt, irgendwo im Wald fallen zu lassen.
Es gab keinen Schlaf. Er hatte seine Nerven auf höchste Wachsamkeit trainiert. Er konnte nur daliegen und die Nachtstunden dazu nutzen, ein wenig auszuspannen, und versuchen, sich nicht zu viel zu erinnern. Dennoch kamen die Erinnerungen immer wieder mit Gewalt zurück. Er hörte die undeutlich flüsternde Stimme des Psychiaters, der dem Untersuchungsrichter sagte, Petey sei nicht sein Sohn, erklärte, wie Alicias Eltern sie gedrängt hatten, ihn zu heiraten, und wie sie all die Jahre an Schuldgefühlen gelitten hatte, bis sie schließlich durchdrehte. Alicia, die er immer geliebt hatte, sanfte, schöne Alicia, einsam, zusammengekauert in einem kahlen Einzelzimmer der Anstalt, und endlich frei, als irgendein Trottel, oder Engel, einen Moment lang nicht aufgepasst und einen ledernen Feststellgurt zurückgelassen hatte, an dem sie sich aufgehängt hatte.
Das Quietschen der Ratten nahm plötzlich an Lautstärke zu; tief unten hatten sie ihn und sein Essen gewittert und
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