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Jagdzeit

Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Osborn
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als wären sie aus Papier, die Querschläger hallten aus dem Wald dahinter wider.
    In der Mühle war niemand. Er musste draußen sein.
    Stille. Und dann: „Sagen wir, noch eine Minute, Ken.“
    Oben im Gesims, da musste er sein. Er war nicht hier unten. Nichts war hier unten außer Greg und den Ratten. Und wenn er im Gesims lauerte, dann musste er dort in einer verkrampften Haltung ausharren. Es würde nicht leicht sein, sich dort oben umzudrehen und mit dem Gewehr zu zielen. Könnte ihn Zeit kosten.
    „Dreißig Sekunden, Ken. Das ist nicht lang, was? Dreißig Sekunden, bis du nichts mehr bist. Bloß noch Rattenfutter.“
    Er stürzte sich kopfüber durch die Tür, rollte sich im Fallen zusammen, kam auf einem Knie hoch, riss das Gewehr nach oben und schoss, noch bevor er gezielt hatte.
    Der Schuss wurde nicht erwidert. Dort war niemand.
    Niemand außer Greg, an seinem Seil hängend, den Kopf vornüber gebeugt, den Rücken zugewandt, Gottseidank, sodass er das schreckliche Gesicht nicht sehen musste.
    „Fünfzehn Sekunden.“
    „Du wirst mich nicht töten, du Arschloch!“
    „Zehn Sekunden.“
    Ken raste an Greg vorbei zum westlichen Ende der Mühle. Er feuerte auf einen Schatten. Auch dort war niemand. Niemand.
    Außer Greg, der jetzt hinter ihm hing.
    Und dann kam ihm die grauenvolle Erkenntnis, dass dort überhaupt nicht Greg hing. Nicht Greg. Er wusste es, noch bevor er sich umdrehte.
    Das Gesicht, welches sich dort anstelle von Greg befand, lächelte ihn an, die Holland & Holland Schwerkaliber löste sich aus dem senkrechten Versteck des massigen, lebendigen Körpers.
    Ken wusste, wer das war, erkannte die riesige Gestalt, das vertraute Gesicht, das Lächeln. Er versuchte, sein eigenes Gewehr zu heben; er konnte es nicht. Er versuchte zu sprechen; er konnte es nicht. Er konnte sich nicht bewegen.
    Dumpf erwartete er das Unvermeidliche. Der Doppellauf des Gewehrs zielte langsam und genau auf seine Oberschenkel, das Gesicht dahinter war jetzt gespannt.
    Sanft sagte Wolkowski: „Fünf Sekunden.“
    Er feuerte.
    Ken spürte einen schrecklichen Schlag an seinem linken Schenkel. Er wurde nach hinten geschleudert und fiel. Dann kam der unvorstellbare Schmerz. Er breitete eine Wolke von Grau vor seinen Augen aus, aber durch die Wolke sah er, wie Wolkowski aus der Seilschlinge schlüpfte. Er sah ihn leichtfüßig auf den Boden springen und sah ihn auf sich zugehen, er entlud die verbrauchte Patrone und lud mit einer einzigen flinken, erfahrenen Bewegung nach.
    Ken versuchte ein letztes Mal, sein eigenes Gewehr in Anschlag zu bringen. Der Schmerz war zu stark. Schmerz hatte sein Gehirn besetzt und seine Arme weigerten sich, es noch mal zu versuchen.
    Wolkowski hatte ihn erreicht und richtete den Doppellauf der Holland & Holland hinunter auf Kens Lenden. Ken sah ihn lächeln, spürte den harten Druck des Gewehrs auf seinen Schwanz und sah, wie Wolkowskis Finger beide Abzüge liebkoste.
    Er hörte, wie jemand schrie: „Bitte, um Gottes willen, bitte! Ich hab’ sie nicht angerührt, Paul. Es waren Art und Greg, nicht ich!“
    Aus grauer Ferne fragte Wolkowski: „Und wer ist dann Peteys Vater?“
    „Ich nicht. Ich war mit im Motel, aber ich war es nicht. Bit te. Ich tue alles. Alles.“
    Dann ein unglaubliches Geräusch. Und nur noch Finsternis.
    Dann färbte sich die Finsternis rot, und er wusste, dass er an sich selbst herunterstarrte und dass der sich ausbreitende Blutstrom, der seine Hose tränkte, dort entsprang, wo er einmal ein Mann gewesen war.
    Dann hoben sich die Doppelläufe plötzlich, zwängten sich zwischen seine Zähne und drückten heiß und stechend gegen seinen Rachen, erstickten ihn fast.
    Er hörte Alicia, wie sie schrie und kämpfte, und Gregs und Arts Gelächter. Und noch jemanden. Sich selbst? Schatten längst verflossener Jahre, die heiße, nackte Hitze von Alicias Körper, wie sie versuchte, seinem Körper zu entkommen.
    Er hörte, wie sein Schrei sich fortsetzte, halb erstickt durch die Gewehrläufe. „Ja, ja, stimmt schon, ich war auch dabei. Wir waren Kinder. Bloß Kinder. Wir haben’s nicht so gemeint.“
    Er sah Alicia, ihr weiches, dunkles Haar, ihren langbeinigen, schlanken Körper. Ihr Lächeln.
    Dann sah er jemand anderen, sehr nah, das steinerne Gesicht von Paul Wolkowski, seine dunkelgrauen Augen und seinen mitleidlosen Mund.
    Es war das Letzte, was er jemals sah.

25
    Den Rest des Tages und auch noch den Tag danach brauchte er, um seinen Job zu Ende zu bringen. Erst musste Kens

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