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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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die Frau, sie habe sich wenige Stunden zuvor ein Kaugummi aus den Haaren schneiden müssen.
    »Cordula, man muss dich einsperren, wie kommt ein Kaugummi in deine Haare?«
    »Es ist mir aus dem Mund gefallen.«
    Danach erklärte Cordula in perfekt vor sich hergetragener Adligenetikette, dass sie erstens gerade nonstop einen Sechziger-Jahre-Song höre, in dem »home« auf »telephone« gereimt wird, der heutige Tag deswegen zweitens kein besonders guter Moment für einen Besuch sei und sich die drei ihre Zeit doch mit einem kleinen Spaziergang durch das idyllische Umland vertreiben könnten.
     
    Und so kam es, dass sich Kai nach einer sechsstündigen in Stoffschuhen absolvierten Bergtour an Kühen und ausgedingsten Gräsern vorbei im Außenbereich einer Raststätte wiederfand, mutterseelenallein, zwei Kilometer über dem Meeresspiegel. Silvana hatte aufs Klo gemusst, Detlev mit sich gezerrt und gesagt, sie seien in fünf Minuten wieder da. Das war zwei Stunden her gewesen, Kai war zuerst durch die Berglandschaft gerannt, um nach Handyempfang zu suchen, hatte zwanzig schlechtgelaunten Leuten eine genaue Beschreibung der beiden abgeliefert, auf die kontinuierlich mit Kopfschütteln reagiert worden war, und sich dann nach einem Heulanfall dazu entschlossen, mit der Seilbahn zurück zum Parkplatz zu fahren. Er kaufte sich ein Ticket und spürte zum ersten Mal in seinem Leben das, was er aus Büchern als »kalten Angstschweiß« kannte. Die Abfahrt dauerte fünf Minuten, doch er biss sich vor durchgehender Todespanik so fest auf die Zunge, dass sie blutete, als er ausstieg. Dann ging er eine lange Steintreppe hinab zur Landstraße, hinter der sich der Parkplatz befand. Bereits von weitem konnte er die beiden hinter dem Auto sehen, Silvana zog sich gerade ein AC/DC -Sweatshirt über und pinkelte danach grinsend in die Mitte des Platzes. Sein Vater nippte an einer Cola und sah ihr dabei zu. Kai war zu erschöpft, um wütend zu sein. Er ging auf die beiden zu, Silvana bemerkte ihn als Erste, und ihr Gesichtsausdruck wurde zu dem einer Vorabendserie entrissenen Fake von Besorgnis.
    »O Gott, wir haben dich die ganze Zeit gesucht«, schrie sie. In Detlevs Miene fand eine Art überbordender Schock statt. Er hatte seinen Sohn vergessen, Silvana nicht, die hatte ihn da einfach stehenlassen, komische Form von Machtspiel war das. Kai antwortete nicht, sondern kotzte Silvana vor die Füße. Noch bevor sie reagieren konnte, setzte er sich auf die Rückbank des Wagens und knallte die Tür von innen zu. Silvana und Detlev guckten sich kurz an, beschlossen in stillem Einvernehmen, den Vorfall versanden zu lassen, und stiegen dann ebenfalls ins Auto, sie ans Steuer, er auf den Beifahrersitz, aus den Boxen kam der brachial laute Hit einer Funkband, dessen Synthieeffekte Silvana auf der Hinfahrt bereits zwei Stunden lang nachzuahmen versucht hatte. Sie startete den Wagen, fing an mitzusingen, und als sie im Schritttempo auf die Straße fuhr, traf das Auto auf eine rabiate Form von Widerstand und blieb von einem Knall begleitet stehen. Kai starrte Silvana an. Sie guckte sekundenlang apathisch durch die Windschutzscheibe und hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass ihre Arme zitterten. Detlev drehte sich zu Kai um, schnallte sich dann ab und stürzte nach draußen. Vor dem Wagen lag ein halb zertrümmertes Motorrad ohne Fahrer. Während Kai feststellte, dass ihm das kaum etwas ausmachte, stieß Silvana einen verspäteten Schrei aus, blieb aber sitzen und hielt eine bedenklich lange Zeit die Luft an. Detlev rutschte unter der Motorhaube herum, man sah nur seinen Arsch. Erst als er sich wieder hochkämpfte, freudestrahlend, den Arm eines Mannes in Motorcyclekluft in der einen Hand, die andere zu einer Siegesfaust geballt, atmete Silvana aus und eilte zu ihnen. Der Fahrer wirkte unversehrt, war zwei Meter groß und nahm uneingeschränkt bewegungsfähig seinen Helm ab. Zwei erwachsene Menschen umarmten ihn überschwänglich und fragten fünfmal hintereinander mit Tränen in den Augen, ob es ihm gutgehe. Sein Bike war schrottreif, die Plastikverkleidung lag in Tausende Einzelteile zersplittert auf der Landstraße. Detlev fragte, ob man die Polizei holen solle, und Silvana bot an, ihren Bruder anzurufen, der habe einen Lieferwagen und könne das Motorrad abtransportieren. Doch der Mann, er war höchstens zwanzig und hatte diesen glasklaren Bauerntrampellook, sagte die ganze Zeit nur »Passt schon, passt schon«.
    Er stand zwar unter Schock,

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